Liberalismus als Massenphänomen

Die Deutschen hassen die Freiheit. Sie haben für sie nichts übrig. Auf die Straße gehen sie für statt gegen Bevormundung. Tempolimits und Böllerverbote werden gefeiert statt verteufelt. Diese Einsichten sind weder neu noch überraschend. Die Frage ist nur, ob das so bleiben muss. Und: Vielleicht schadet es dem Liberalismus eher, wenn ihn auf einmal alle gut finden?

Das Wort „liberal“ ist in der Regel ja eher positiv behaftet. Jeder möchte irgendwie liberal, linksliberal, wirtschaftsliberal (die Coolen neoliberal oder radikalliberal) sein. Bis auf ein paar linke und rechte Spinner denken Menschen, wenn sie das Wort „Liberalismus“ hören, an etwas Positives. So sprechen wir parteienübergreifend von der liberalen Demokratie, dem liberalen Rechtsstaat oder liberalen, westlichen Werten und meinen etwas Gutes. Irgendwie alle bürgerlichen Parteien versuchen, sich einen liberalen Anstrich zu geben. Oft ist die FDP hier am erfolgreichsten.

Dass es dennoch nicht gerade rosig um den politischen Liberalismus in Deutschland bestellt ist, brauche ich nicht zu erklären. Auch möchte und kann ich keine Antworten geben, wie wir große Mengen für die Freiheit begeistern. Das fände ich eine unmögliche Anmaßung an Wissen. Aber wir müssen unbedingt über den Liberalismus als Massenphänomen nachdenken. Die Politik der Zukunft wird sich in Bewegungen organisieren. Gehen wir da mit? Und wenn ja, wie?

Eine wichtige Frage ist sicherlich, wie sich einzelne Parteien zum Massenphänomen Liberalismus verhalten. Liberalismus als Massenphänomen findet sich in allen Parteien wieder. Eine starke FDP hingegen ist nicht Ziel des Liberalismus, sondern einzig und allein Mittel zum Zweck. Wie es dem Liberalismus in Deutschland geht, lässt sich nur schwierig daran messen, ob die FDP in Umfragen gerade gut oder schlecht dasteht. Der Liberalismus fällt und steht mit seinen Verteidigern. Und trotzdem finden sich die meisten in Deutschland gerade sicherlich in der FDP wieder.

Von den Besten lernen

Dass Massenbewegungen auf den Straßen immer noch erfolgreich sein und maßgeblich die Politik beeinflussen können, hat Fridays For Future eindrucksvoll gezeigt. Und kann man von denen unglaublich viel lernen. Im Gegensatz zu uns, haben die es schließlich geschafft, Hunderttausende von jungen Menschen auf die Straßen zu bringen. Das kann man zugeben, ohne die Forderungen zu unterstützen. Selbstverständlich möchte ich nicht hinter einem Banner laufen, auf dem man den Kapitalismus in Deutschland beenden möchte, wobei ich mich immer Frage, wo sie den Kapitalismus in Deutschland sehen. Aber was soll´s. Zurück zum Thema.

Luisa Neubauer und Co. haben etwas geschafft, was ich für so unglaublich wichtig halte: Mit ihrer Politik einen Lebensstil zu etablieren, dem sich Leute gerne anschließen. Neubauer auf dem Fahrrad mit Baumwolltasche und wiederbefüllbarer Flasche ist schlicht cooler als der ältere Politiker mit dem zu kleinen Anzug, der aus der Limousine aussteigt. (Ich meine Peter Altmeier.)

Wenn eine eigentlich eher schlimme Sache wie der Klimawandel junge Menschen so für eine Bewegung begeistern kann, wieso können es dann nicht so wunderschöne Dinge wie die Flat Tax, Währungswettbewerb und Waffenrechte. Spaß beiseite: Gerade mit liberalen Werten wie Toleranz, Verbotsablehnung und Draufgängertum können sich doch so viele junge Menschen identifizieren. Wieso können wir sie dann nicht für den Liberalismus begeistern?

Liberalismus ist das Revolutionäre

Zweifelslos sind Sozialisten besser darin, die Menschen für sich zu gewinnen. Das geht sicherlich auch auf die Grundwerke zurück. Marx schreibt ergreifend für die kommunistische Revolution, man kann des revolutionäre Gefühl beim Lesen des kommunistischen Manifestes beinahe spüren und muss das Hochstrecken der Faust unterdrücken. In liberalen Werken fehlt so etwas oft. Klar sollte man eigentlich Gänsehaut bekommen, wenn Hayek gegen das staatliche Währungsmonopol anschreibt. Aber das wirklich Mitreißende und Massentaugliche fehlt halt einfach oft. Vielleicht sind sie nicht radikal genug?

Marx näher als Hayek

Die Politik der heutigen Zeit ist den Forderungen Marxs heute näher als denen Hayeks. Klingt bekloppt, ist aber wirklich so. Wer das nicht glaubt, möge mal bitte die konkreten Forderungen im kommunistischen Manifest mit denen in der Verfassung der Freiheit vergleichen. Marx schreibt von „starker Progressivsteuer“, „Zentralisation des Transportwesens“, einer Staatsbank mit „ausschließendem Monopol“ und „öffentlicher und untentgeltlicher Erziehung der Kinder“. Kommt mir ziemlich bekannt vor. Allen diesen Punkten steht Hayek entgegen. Wessen Idealvorstellungen sind wir näher?

Konsequenter Liberalismus ist heute das Revolutionäre. Mutig ist, wer sich heute als Neoliberaler gibt. Nicht der, der den bösen Kapitalismus beenden möchte. Wieso schaffen wir es nicht, dieses Gefühl auf die Straße zu bringen? Lassen wir in Deutschland ein Gespenst des Liberalismus umhergehen!

Interessant ist sicherlich  auch noch das Verhältnis von positiver und negativer Freiheit. Ein zu großes Überwiegen der negativen Komponente wirkt im Zweifel nicht sehr einladend und für viele nicht greifbar. Nicht jeder sieht ein Verbot oder Gebot gleich als krasse Bedrohung der Freiheit. Positive Freiheit läuft oft Gefahr, den Wesenskern der Freiheit zu verpassen, denn diese ist die Abwesenheit von Zwang, um die wunderschön unvollkommene Definition Haykes zu benutzen.

Die Massen als Gefahr für den Liberalismus

Kann man, wenn man das Prinzip der Mündigkeit und des Individualismus ernst nimmt, sich eigentlich einer Massenbewegung verschreiben? Mit einheitlichen Werten, großen Bannern und gleichen Sprechchören? Eigentlich ist es doch das Geniale am Liberalismus, dass das eben geht. Wenn Menschen für ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem auf die Straßen gehen, ist es egal, ob sie mit dem zurückgeholten Geld ein neues Fahrrad oder einen Porsche kaufen.

Poschardt schreibt in „Mündig“ ja: „Der Liberale als Mündiger[…] ist nie und nimmer mehrheitsfähig.“ Vielleicht stimmt das. Vielleicht müsste man den Wesenskern der Freiheit auf dem Weg zum Massenphänomen verraten. Vielleicht kann eine auf Eigenverantwortung und Selbstständigkeit basierende Ideologie nicht mehrheitsfähig werden. Aber dann lohnt es sich wenigstens, dafür zu streiten, dass diese Minderheit wächst.