Zwischen Zwang und Freiheit – Eigenverantwortung und ihre Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

Kinder – sie sind die Zukunft unseres Landes. Ihr Wohlbefinden ist die größte Sorge der meisten

Eltern, ihre Erziehung ist das Interesse vieler Lehrer und ihre gesunde Entwicklung ist

notwendige Bedingung für den Fortbestand unserer Gesellschaft. Doch wie geht das von

Statten? Wie funktioniert gute Kindeserziehung? Was müssen unsere Kinder lernen? Dazu gibt

es verschiedenste Meinungen, die Erziehungsratgeber bis hin zu politischen Manifesten mit

mehr oder weniger geistreichem Inhalt füllen. Letztlich ist die unbefriedigende Antwort, dass

es kein Patentrezept gibt. Denn jedes Kind ist schließlich ein Individuum und somit gibt es für

jedes Kind auch einen Weg seiner einzigartigen Entwicklung. Doch es gibt einen Begriff, der

für ein selbstbestimmtes Leben essenziell scheint und gleichzeitig in der DNA des Liberalismus

verankert ist: die Eigenverantwortung.

 

Prozess der Kindesentwicklung

Wie eingangs erwähnt, ist der Prozess der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

individuell. Dennoch gibt es zumindest gewisse Gesetzmäßigkeiten, die es erleichtern die

Entwicklung eines jungen Menschen mit zu begleiten. Doch auch in der Kategorisierung dieser

Gesetzmäßigkeiten gibt es Unterschiede, ob man nun beispielsweise dem Modell vom

Immanuel Kant (4 Stufen der Erziehung), dem Modell von Sigmund Freud (5 Phasen der

psychosexuellen Entwicklung) oder dem Modell von Jean Piaget (4 Stadien der kognitiven

Entwicklung) folgt. Dabei lassen sich allerdings Muster erkennen. Das Kind ist nach der Geburt

bis hin zu einem gewissen Alter direkt an die Eltern gebunden, weil sein Überleben davon

unmittelbar abhängt. In diesem Zusammenhang muss sich das Kind dem Regime der Eltern,

bzw. der verantwortlichen Bezugsperson unterwerfen – was, abhängig von der Persönlichkeit

des Kindes und dem angewandten Erziehungsstil der Eltern, eine mehr oder weniger

angenehme Erfahrung darstellt.

 

Das Kind bewegt sich durch ein System strikter Regelungen meistens Schritt für Schritt in einen

Zustand größerer Freiheiten. Wie jedes Elternteil bestätigen kann, sind diese Regeln aber

notwendig. Denn Kinder müssen nicht nur geschützt werden; sie müssen innerhalb eines

geregelten und geschützten Raumes auch wichtige Kulturtechniken kultivieren und gewisse

Regeln für sich selbst hinterfragen, weil sie ggf. wichtig für ihren späteren Lebensweg sind. So

mag die Regel nur wenige Süßigkeiten essen zu dürfen für die meisten kleinen Kinder wie ein

Ausdruck einer ungerechten Tyrannei darstellen, aber während sie lernen sich innerhalb dieses

Regimes zu bewegen, so gewinnen sie unter Umständen die Erkenntnis, dass die Regel eine

gewisse Sinnhaftigkeit besessen hat und können dann später selbst entscheiden, ob sie diese für

ihren Lebensweg übernehmen.

 

Der Weg in die Freiheit

Die zentrale Erkenntnis des Erziehungsprozesses von Kindern scheint also eine nur wenig

Liberale. Der Weg zur Freiheit führt zwangsweise durch Tyrannei. Da dem Kind nicht zu

vertrauen ist, muss es diszipliniert und geformt werden und es ist am besten, wenn die Regeln

übernommen werden. So lautet auch die Argumentation vieler Konservativer. Aber diese

Argumentationslinie verkürzt und verkennt einen wesentlichen Aspekt der Kindesentwicklung.

Ja, Disziplin ist eine wichtige Fähigkeit, die Kinder lernen müssen, um ihre Triebe und

Bedürfnisse kontrollieren zu können. Schließlich ist die vermeintliche Freiheit nur seinen

Trieben nachzugehen nur eine Form der Sklaverei gegenüber den eigenen Trieben, wie bereits

die antiken Stoiker wie Seneca wussten. Aber für die Freiheit des Kindes ist die Tyrannei eben

nicht die notwendige Bedingung, sie ist eher kontraproduktiv. Es ist nämlich die Autorität, die

Regeln festlegt und damit das Kind bzw. den Jugendlichen zur Freiheit befähigt. Max

Horkheimer beschreibt das Autoritätsverhältnis als „bejahte Abhängigkeit“. Die Autorität ist

also eine Eigenschaft, die verdient werden muss und der Versuch sie durch Zwang

durchzusetzen ist in den meisten Fällen eher kontraproduktiv. Die Autorität ermutigt das Kind

also. Sie gibt zwar Regeln vor, aber sie erklärt ihre Beweggründe und Ziele. Sie befähigt das

Kind dazu eigenständig und mündig zu werden.

 

Eigenverantwortung und Freiheit

Ist der Weg des Jugendlichen in die Freiheit geschafft, so entscheidet er selbst, ob er die Regeln

der erzieherischen Autorität anerkennt. Doch Freiheit kann auch überwältigend sein und wie

wir bereits gelernt haben, ist es nicht die Freiheit alles zu tun wonach einem gerade der Sinn

steht, die entscheidend ist. Es ist das Nutzen der Freiheit, um das eigene Potenzial zu entfalten,

dass das Leben mit Sinnhaftigkeit erfüllt. Und so schließt sich der Kreis zum liberalen

Menschenbild. Denn Freiheit kann nicht ohne Eigenverantwortung gedacht werden. Die

Freiheit des Individuums kommt eben mit dem Preis der Verantwortung, die das Individuum

für sich selbst übernimmt. Denn wenn die politische Linke versucht die Haftung und somit die

Verantwortung zu kollektivieren, so entlarvt sich im Kern als autoritär. Denn Freiheit auf

Kosten und Verantwortung anderer ist keine Freiheit, sondern Abhängigkeit.

 

Was kann der politische Liberalismus im Jahre 2020 daraus lernen? Oftmals hält der

Liberalismus seinen Gedanken der individuellen Freiheit für sein bestes Argument, gerade um

junge Menschen zu überzeugen. Denn die Freiheit ist schließlich ein hervorragendes Argument;

es ist die Freiheit sich zu (unter Achtung der Freiheit der anderen) bewegen wohin man möchte,

zu handeln wie oder mit wem man es möchte oder jeden zu lieben den man gerne hat. Doch

viel zu oft vergessen wir dabei, dass die Eigenverantwortung ein mindestens genau so starkes

Argument ist. Denn die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben ist es, die das

Leben mit Sinn füllt. Für einen Jugendlichen ist es eine völlig andere Sichtweise als die

Unterordnung in ein Kollektiv. Es ist das Vertrauen, die Perspektive und die Fähigkeit aus

eigener Kraft über sein Leben bestimmen zu können. Die Übernahme von Eigenverantwortung

ist für jeden jungen Menschen ein integraler Bestandteil seiner Entwicklung. Sie ist notwendige

Bedingung für das Fortbestehen unserer freiheitlichen und offenen Gesellschaft. Gemeinsam

mit individueller Freiheit, ist sie das beste Deutungsangebot das wir haben.

 

Über den Autor:

Alexander Kobuss (22) studiert Lehramt für Gymnasien mit den Fächern Geschichte sowie

Sozialwissenschaften im Master. Er ist Landesvorsitzender der Liberalen Hochschulgruppen

NRW. Außerdem ist er stellvertretender Bezirksvorsitzender für Programmatik in Köln/Bonn

und leitet den Bundesarbeitskreis Wirtschaft/Energie/Finanzen. Ihr erreicht ihn unter