Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens (BR-Drucks. 605/96)

Die Jungen Liberalen in Nordrhein-Westfalen lehnen entschieden den Versuch von
insgesamt 14 Bundesländern (auch NRW) ab, unter dem Vorwand, die Verfahren vor
den Zivilgerichten beschleunigen zu wollen und Richter zu entlasten, in Wirklichkeit
vielmehr gravierende Einschnitte in die Rechtsweggarantie vornehmen zu wollen,
ohne daß die Verfahren beschleunigt werden. Offensichtlich geht es den Ländern
lediglich darum, ihre Ausgaben, die sowieso im durchschnitt bei lediglich etwa 3,25%
der Länderhaushalte liegen und zu fast 50% durch Einnahmen der Gerichte gedeckt
werden, weiter zu senken.

Konkret stellen die Jungen Liberalen in NRW fest:

1. Der vorliegende Gesetzentwurf dient entgegen der Verlautbarungen in der
Entwurfsbegründung nicht in erster Linie der Beschleunigung des Verfahrens in der
Zivilgerichtsbarkeit, sondern vielmehr der Vornahme von Einsparungen im justiziellen
Bereich. Es handelt sich hierbei um einen Etikettenschwindel, da die Verfasser
lediglich vorgeben, die Gerichtsverfahren  beschleunigen zu wollen, in Wirklichkeit
jedoch die Länderhaushalte im Justizbereich massiv entlastet werden sollen. Diese   28
Einsparungen sind in diesem Ausmaß nicht hinnehmbar, da sie zu Lasten der
Rechtsstaatlichkeit gehen.

2. Wir verkennen nicht die Notwendigkeit zum Sparen in Zeiten leerer Kassen. Die
angestrebten Einsparungen in Höhe von lediglich 55 Mio. DM rechtfertigen allerdings
nicht die gravierenden Einschnitte in die Rechte der Rechtsuchenden. Das genannte
Einsparpotential, das sich aus den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen ergibt,
steht zu dem drohenden Verlust an Rechtsstaatlichkeit eindeutig außer Verhältnis.

3. Im einzelnen würden insbesondere folgende Änderungen zu nicht hinnehmbaren
Beschränkungen der grundgesetzlich verbrieften Rechtsweggarantie des Art.19
Abs.4 GG führen:

a) Änderung des § 348 ZPO

Es wird vorgeschlagen, § 348 ZPO zu ändern, wodurch im erstinstanzlichen
Verfahren bei den Landgerichten bis zu einem Streitwert bis zu DM 30.000,– ein
originär zuständiger Einzelrichter eingeführt werden soll, sofern der Rechtsstreit nicht
besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder ihm
grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die  so vorgenommene Abwendung vom
Kammerprinzip würde zu einer zusätzlichen Belastung der bereits jetzt am Rande
des Zumutbaren arbeitenden Einzelrichter führen. Hinzu kommt, daß eine
Wertgrenze kein taugliches Kriterium zur Abgrenzung von einfachen und schwierigen
Fällen ist, da dieses sich an dem Lebenssachverhalt und der Rechtslage und nicht
an dem Streitwert bemißt. Durch den  Verlust von Meinungsaustausch und
Diskussion sowie gegenseitiger Kontrolle der Kammermitglieder wäre ein
Qualitätsverlust der Entscheidungen zu erwarten.

b) Einführung des allein entscheidenden Einzelrichters in Berufungs- und
Beschwerdeverfahren beim Landgericht

Eine Einführung des allein  entscheidenden Einzelrichters in Berufungs- und
Beschwerdeverfahren beim Landgericht würde dazu führen, daß der Rechtsweg
erschöpft werden kann, ohne daß in einer Instanz ein Kollegialgericht die
Rechtssache beurteilt hat. Die so implizierten Qualitätseinbußen in der Rechtspflege
sind den Rechtsuchenden aus  rechtsstaatlichen Erwägungen  nicht zuzumuten. Ein
hinnehmbares, den grundgesetzlichen Anforderungen genügendes
Gerichtsverfahren verlangt zumindest eine kollektiv besetzte Instanz.

c) Erhöhung der Berufungssumme

Eine weitere Erhöhung der Berufungssumme (Dezember 1990 von DM 700,– auf DM
1.200,–, 1993 auf DM 1.500,–) auf DM 2.000,- würde den Rechtsweg in einem nicht
hinnehmbaren Umfang auf eine Verfahrensinstanz beschränken.

d) Erleichterung bei der Abfassung von Urteilen

Eine Erleichterung bei der Abfassung von nicht anfechtbaren Urteilen würde zu einer
Einschränkung der Nachvollziehbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen führen. Die
Ermöglichung des Verständnisses gerichtlicher Entscheidungen ist Teil der
grundgesetzlichen Rechtsweggarantie.   29

4. Trotz aller Kritik an der Intention  und den meisten konkreten Vorschlägen des
Entwurfes, erachten die JuLis NRW folgende Punkte als sinn- und maßvolle
Möglichkeiten, das Justizwesen zu entlasten:

a) Verwerfungsmöglichkeit von offensichtlich unbegründeten Berufungen

Die Möglichkeit, offensichtlich unbegründete Berufungen durch einstimmigen
Beschluß abzulehnen, würde  zu einer Entlastung der Berufungskammern führen,
ohne die Rechte der Rechtsuchenden zu beschneiden.

b) Außergerichtliche Streitbeilegungsmöglichkeiten

Eine Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung durch die Einführung
obligatorischer, außergerichtlicher Schlichtungsverfahren in dafür geeigneten Bereich
(z.B. Nachbarschaftskonflikte) würde das staatliche Gerichtswesen in einem
erheblichen Maße entlasten, ohne den Rechtsweg zu beschneiden. Die guten
Erfahrungen mit Schiedsverfahren im strafrechtlichen Bereich lassen einen Erfolg
dieser Maßnahmen erwarten.

5. Die Jungen Liberalen fordern die Landesregierungen (speziell  die in Nordrhein-
Westfalen) auf, den drohenden Kollaps des Justizsystems abzuwenden.
Gerichtsverfahren, die sich über Jahre hinziehen, sind dem Rechtsfrieden nicht
zuträglich. Der momentane Einstellungsstop für Richter, die unerträglich veraltete
Ausstattung der Geschäftsstellen und die ineffizienten Verwaltungsstrukturen lassen
den Tag des Zusammenbruchs des Gerichtswesen immer näher rücken. Als einzigen
Ausweg sehen die Jungen Liberalen in NRW eine massive Anhebung der Ausgaben
für den Justizapparat sowie eine grundlegende Verwaltungsreform der
Geschäftsstellen. In diesem Sinne werden sich die Jungen Liberalen in NRW auf
JuLi- Bundesebene und auf F.D.P.-Landesebene einsetzen.