Integration statt Parallelgesellschaften

Fast jeder vierte Einwohner Nordrhein-Westfalens ist durch Migrationshintergrund geprägt (22,9%). So haben insbesondere die Großstädte nicht nur viele Einwohner mit ausländischer Staatsangehörigkeit (Düsseldorf 16,9%, Köln 17,2%), sondern darüber hinaus auch viele Bürger mit trotz deutscher Staatsangehörigkeit nicht hinreichender Integration in die Gesellschaft zu verkraften.

Schon allein diese Zahlenverhältnisse machen die Größe der Integrationsaufgabe und das Ausmaß der damit verbundenen Maßnahmen für unsere Gemeinschaft deutlich. Im Interesse des sozialen Friedens der Gemeinschaft müssen neue Konzepte des Miteinanders entwickelt werden. Diese müssen so angelegt sein, daß den neuen Einwohner NRWs eine reelle Chance gegeben wird, mit einer inländischen Identität statt eines ausländischen Bewusstseins aufzuwachsen und zu leben.

Bei den folgenden Überlegungen beschränken wir uns daher im wesentlichen auf die Integration von bereits in Nordrhein-Westfalen lebenden Personen. Zuwanderungspolitik selbst wird aufgrund der begrenzten Einflussmöglichkeiten der Landespolitik auf diese, sowie aufgrund der lediglich langfristigen Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein. Nichtsdestotrotz wird die Landesregierung aufgefordert, sich vor dem Hintergrund eines immer stärker zusammenwachsenden Europas und der damit verbundenen Freizügigkeit verstärkt für eine gemeinsame europäische Zuwanderungspolitik einzusetzen. Angesichts zunehmend kontinental statt national ausgerichteter Migrationsströme sowie der historischen Einigungsleistung und der Schaffung des Schengen-Raumes ist eine einheitliche Migrationspolitik 27 kleinstaatlichen Lösungen vorzuziehen. Entsprechende Initiativen sind demzufolge anzustreben; sie lägen nicht nur im gesamteuropäischen oder deutschen, sondern insbesondere auch im nordrhein-westfälischen Interesse.

Ohne Zuwanderung gäbe es in Nordrhein-Westfalen seit Anfang der neunziger Jahre eine negative Bevölkerungs-Dynamik. Angesichts fallender Geburtenraten, steigender Lebenserwartung und demographisch alternder Bevölkerung helfen die zugewanderten Menschen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sowie die Zukunft der Sozialsysteme zu sichern. Um Chancengerechtigkeit herzustellen und gesellschaftlichen Konflikten vorzubeugen, ist eine gezielte Integrationspolitik unerläßlich. Richtig genutzt, stellt das Potential der in NRW lebenden Menschen mit Migrationshintergrund eine enorme Chance für unsere Gesellschaft dar nicht nur vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. Dieses Potential gilt es zu fördern und zu aktivieren statt es wie in der Vergangenheit an isolierte Parallelgesellschaften zu verlieren.

Probleme lösen – Perspektiven bieten

Wir sehen zwei Hauptfaktoren für jede erfolgreiche Integration: Das sichere Beherrschen der Sprache sowie eine hinreichende und erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsmarkt.

Sprache dient als Grundlage jeder gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Interaktion ist die zentrale Voraussetzung für jegliche Integration. Der Erwerb der deutschen Sprache ist somit vergleichbar mit der Eintrittskarte in die Gesellschaft.

Daher fordern wir:

Die konsequente Umsetzung des obligatorischen Sprachtests ein Jahr vor der Einschulung für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen. Die aus der ersten Runde dieser Sprachstandserhebung vorliegenen Zahlen zeigen zum Teil erhebliche Defizite und damit einen enormen Förderbedarf auf. Zudem geben 50% der türkisch-stämmigen Einwohner NRWs in einer Selbsteinschätzung an, die deutsche Sprache nicht gut zu verstehen und zu sprechen. Somit ist der Kurs der Landesregierung, das Sprachförderangebot quantitativ und qualitativ zu verbessern zu begrüßen und muss fortgeführt werden.

Kein Abschieben von Kindern an niedrigere Schulformen wegen Sprachproblemen. Stattdessen sollen diese Kinder an der intellektuell für sie geeigneten Schulform eine gezielte Sprachförderung neben dem Unterricht erhalten. So wird ein Durchreichen nach unten von Kindern, die intellektuell mehr Potential haben, effektiv verhindert.

Das Angebot von Sprachkursen auch für bereits länger hier lebende Migranten in ausreichendem Maße. Diese langfristigen Investitionen dürfen nicht kurzfristigen Sparzwängen zum Opfer fallen. Stattdessen ist eine verstärkte Kooperation des Landes mit den Kommunen und Bildungsträgern wünschenswert.

Die Verhinderung von ethnischer Segregation als eine der Hauptaufgaben von Stadtentwicklung. In den größeren Städten gibt es eine bedeutende Ungleichverteilung der Zuwanderer von Stadtteil zu Stadtteil. In einzelnen Stadtteilen und Quartieren weist die Mehrheit der Bevölkerung einen Migrationshintergrund auf. Diese ethnische Segregation steht jedoch dem Ziel der Integration der Zuwanderer und ihrer Partizipation in der deutschen Gesellschaft entgegen. Insbesondere die Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen sowie der Spracherwerb werden hierdurch erheblich erschwert. Wenngleich Menschen immer gern mit anderen Menschen des gleichen Hintergrunds zusammenleben, sollte das Entstehen von weitgehend von der deutschen Gesellschaft abgegrenzten Wohnbezirken soweit möglich planungstechnisch wie städtebaulich verhindert bzw. abgemildert werden. Ziel muß es sein, Anküpfungspunkte an die Mehrheitsgesellschaft zu schaffen.

Heiratsmigration und die damit verbundenen Probleme stärker als bisher in den Fokus der integrationspolitischen Betrachtung zu rücken. So sind vier von zehn der Migranten aus der Türkei Heiratsmigraten. Von hier lebenden Migranten nachträglich im Herkunftsland geheiratete und dann im Zuge des Familiennachzugs eingereiste Ehepartner befinden sich aufgrund sprachlicher und kultureller Anpassungsschwierigkeiten häufig in vollständiger Abhängigkeit von ihrem Partner. Stärker als bisher muß verpflichtende sprachliche und staatsbürgerliche Förderung diese Personengruppe in die Lage versetzen, ein selbstständiges Leben in unserer Gesellschaft führen zu können. Die neuen Anforderungen im reformierten Zuwanderungsgesetz, bei Ländern mit Visumspflicht das Nachzugsalter von Ehegatten auf 18 Jahre festzusetzen sowie einen simplen Überlebenswortschatz (200 Worte) der deutschen Sprache zur Bedingung zu machen, begrüßen die Jungen Liberalen ausdrücklich. Diese Regelungen sind nicht nur integrationspolitisch sinnvoll, vielmehr kommt der Staat durch sie auch seiner in diesem Bereich viel zu lange vernachlässigten Schutzfunktion nach.

Eine Zusammenarbeit zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Landessportbund NRW in Integrationsfragen. Sport fördert nicht nur gemeinsame Werte wie Toleranz, Freiheit, Solidarität und fairen Wettbewerb; auch erleichtert die gelungene Integration von Kindern mit Migrationshintergrund in eine Mannschaft auch die Integration in die Gesellschaft und das Erlernen von Sprache und Kommunikation. Somit muss Sport als integrationspolitisches Element begriffen werden.

Nachhaltige Integration gelingt in der Summe nur bei in den Arbeitsmarkt eingebundenen Personen. Die Fähigkeit, für den eigenen Lebensunterhalt sorgen zu können einerseits und die Einbindung in die Gesellschaft als Ganzes über den sozialen Kontakt am Arbeitsplatz andererseits sind wichtige Faktoren bei der Anpassung an die deutsche Gesellschaft. Darüber hinaus erhöhen sie die Akzeptanz und das Verständnis der breiten Öffentlichkeit gegenüber Zugewanderten.

Wir fordern daher:

Gezielt solche Betriebe, deren Eigentümer selbst Migrationshintergrund besitzen, für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen zu gewinnen. Derzeit gibt es in NRW etwa 83.000 Unternehmer und Selbständige mit einem solchen Hintergrund. Gemeinsam mit dem auf Bundesebene mit dieser Aufgabenstellung betrauten Ministerium für Bildung und Forschung sowie den Industrie- und Handelskammern ist dieses große Potential fortan zu erschließen. Bis zu einem Drittel der Jugendlichen mit Migratinshintergund haben keine Berufsausbildung, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Zahl deutlich zu reduzieren. Ziel muss es sein, Migranten-Familien in die Lage zu versetzen, ein vergleichbares Haushaltseinkommen wie deutschstämmige Familien erwirtschaften zu können. Das momentan herrschende Ungleichgewicht zeichnet eine falsche Richtung sozialer Laufbahnen vor.

In Zukunft besonderes Augenmerk auf die Bildungskarriere von Jugendlichen mit ausländischem Hintergrund zu legen. Etwa ein Drittel (29,6%) aller fünfzehnjährigen Schüler in NRW hat Migrationshintergrund. Diese weisen durchschnittlich deutlich schlechtere schulische Leistungen auf als Schüler aus deutschen Familien. Dies stellt selbstverständlich einen erheblichen Nachteil beim Eintritt in den Arbeitsmarkt dar und entwickelt sich somit zu einem der drängendsten bildungs- und gesellschaftspolitischen Probleme.

Die Initiative der Landesregierung, Bildungsvereinbarungen mit den von ihr geförderten Migrantenselbstorganisationen abzuschließen, auszubauen. Hierdurch wird in den Organisationen selbst der Schwerpunkt auf Bildung und Erziehung der Kinder gelegt und somit die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft des Nachwuches vergrößert.

Eine Aufwertung der Hauptschulen entsprechend unserer diesbezüglichen Beschlusslage. Da sich im nordrhein-westfälischen Schulwesen einerseits die Leistungsprobleme auf die Hauptschulen konzentrieren und diese andererseits im Vergleich mit anderen Schulformen überproportional viele Schüler mit Integrationsbedarf unterrichten, bedürfen sie besonderer Förderung. Hauptschulen dürfen nicht länger Restschulen sein, sondern müssen gerade auch aufgrund der häufig sehr heterogenen Schülerpopulation personell wie finanziell besser ausgestattet werden. Eine solide Schulausbildung ist Voraussetzung für späteren Erfolg am Arbeitsmarkt.

Eine besondere Förderung hochbegabter Jugendlicher mit Migrationshintergrund über ein speziell auf sie ausgerichtetes Stipendiatenprogramm. Aufgrund der bis heute strukturierend nachwirkenden Zielsetzung der Anwerbepolitik der 50er bis 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, vor allem für gering qualifizierte industrielle Tätigkeiten Arbeitskräfte anzuwerben, besteht hier noch immer Nachholbedarf. Ein entsprechendes Stipendiatenprogramm fördert nicht nur die Stipendiaten selbst, sondern schafft in diesen zugleich Vorbilder für andere junge Menschen mit ausländischem Hintergrund.

Die gezielte Vorbereitung von Lehrern, Erziehern, Sozialarbeitern auf die neuen Anforderungen einer umfangreichen Integration. Bereits im Studium und Ausbildung müssen praxisnahe Seminare und Workshops auf die integrative Arbeit vorbereiten (z.B. interkulturelle Pädagogik).

Ankommen in der Gesellschaft sowohl ermöglichen als auch einfordern

Wir müssen unseren Einwohnern mit ausländischer Abstammung mehr und bessere Angebote zur Förderung ihrer individuellen sprachlichen wie fachlichen Fähigkeiten machen. Niemand darf in seinem Bemühen scheitern, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren, weil er nicht genügend Unterstützung erhält.

Gleichzeitig müssen wir jedoch auch mehr Integrationsbereitschaft seitens der Migranten einfordern. Denn Integration ist eine Aufgabe des Migranten, der Gesellschaft und des Staates. Wenn mehr als die Hälfte aller jungen Menschen der größten Migrantengruppe unseres Landes nach eigener Aussage nicht zu Deutschen werden möchte, ist dies nicht so sehr Ausdruck kultureller Vielfalt, sondern vielmehr ein realpolitisch handfestes Problem. Wenngleich Integration sich gerade im Respekt gegenüber kulturellen Besonderheiten und Unterschieden von (populistisch gerne geforderter) Assimilation unterscheidet, ist sie jedoch immer auf ein Miteinander aus alten und neuen Einwohnern ausgerichtet. Gesellschaftliche Fragmentierung stellt somit vielmehr das Gegenteil gelungener Integration dar.

Wer dauerhaft sein Leben in Deutschland lebt und kein Unionsbürger ist, sollte die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ernsthaft in Betracht ziehen. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit bildet die Grundlage der Teilhabe im politischen Leben und stärken eine dauerhaft gelingende Integration. Über die Möglichkeit des Erwerbs der Staatsangehörigkeit sind die Betreffenden zu informieren.

Für viele Menschen stellt Religion eine wichtige Komponente ihres Lebens dar. Im Zusammenhang mit Integrationspolitik spielt insbesondere eine Rolle, daß die größte Bestandsgruppe an Migranten in unserem Land einen fast ausschließlichen muslimischen Hintergrund besitzt (94,2%). Die Jungen Liberalen setzen sich sich entschieden für eine Trennung von Staat und Religion ein, sehen es aber als fahrlässig an, den Faktor Religion und seine potentiell integrative Wirkung beim Erstellen eines umfassenden Integrationsplanes nicht zu beachten.

Religion kann eine wichtige Rolle bei der Integration Zugewanderter in die neue Gesellschaft sein. Unsere jüdischen Gemeinden etwa leisten einen erheblichen Beitrag bei der Integration von Juden aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Gegenwärtig spielen viele islamische Gemeinden diese Rolle noch nicht. Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß etwa die türkischen Gemeinden per Staatsvertrag von durch das türkische Religionsministerium entsandten Imamen geleitet und betreut werden. Eine dauerhafte Ausrichtung auf das Herkunftsland statt auf das Zielland ist somit systemimmanent. Ohne in die Religionsfreiheit eingreifen zu wollen, wünschen die Jungen Liberalen sich diesbezüglich eine Neuverhandlung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei, um bei der Benennung der Imame auch ein Bekenntnis zur Integration und zur deutschen Gesellschaft zur Voraussetzung zu machen.

Betreffend des Religionsunterrichts an staatliche Schulen wünschen die Jungen Liberalen sich zukünftig die derzeit nicht praktizierte Trennung zwischen Staat und Religion. Dies bedeutet insbesondere einen Verzicht auf Religionsunterricht und stattdessen die Erteilung von Lebenskunde-Ethik-Religion (LER) zur Aufklärung über alle bedeutenden Religionen und ethischen Denkrichtungen. Solange jedoch weiterhin Religionsunterricht erteilt wird, sind alle Religionen selbstverständlich gleich zu behandeln. Eine in irgend einer Weise präferierte Staatsreligion lehnen wir ab. Somit ist für alle Religionen, denen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ein hinreichender Anteil der Schülerpopulation angehört, Unterricht zu erteilen. In der Konsequenz und in Anerkennung realpolitischer Fakten bedeutet dies die deutschsprachige Erteilung von Islamunterricht parallel zu evangelischem und katholischem Religionsunterricht. Abstand davon kann realistisch nur dann genommen werden, wenn zeitgleich sämtlicher Religionsunterricht durch LER ersetzt wird.

Ausblick

Zuwanderung ist in der Vergangenheit zu oft zwar geographisch nach Deutschland, nicht aber in die deutsche Gesellschaft erfolgt. Somit gilt es einen großen Altbestand an nicht in die Gesellschaft integrierten Menschen nachträglich erfolgreich einzugliedern. Dies kann gelingen, wenn Integration nicht als lästige Pflicht, sondern als Chance für Nordrhein-Westfalen angesehen wird. Dabei sind jedoch insbesondere auch die Migranten selbst aufgerufen, ihren Teil beizutragen und sich statt an der ehemaligen an der neuen Heimat zu orientieren.

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