Die Liberale Familie

Jubiläen sind immer ein Moment des Innehaltens. Was macht uns als Junge Liberale aus, warum sind wir engagiert, was erwarten wir von der Zukunft unseres Verbandes?

Zusammengehörigkeitsgefühl als Grundlage einer positiven Verbandskultur

Wer zu uns kommt, trifft in aller Regel eine sehr bewusste Entscheidung. Erstens führen liberale Ideen in Schule, Studium und Öffentlichkeit ein Nischendasein und müssen sich unsere Mitglieder häufig der Vorwürfe oder des Spotts von Eltern und Freunden, aber auch Mitschülern, Kommilitonen und Arbeitskollegen erwehren, sobald bekannt wird, dass man bei uns Mitglied ist. Zweitens sind politische Jugendorganisationen eine Form des Engagements, die viele junge Menschen scheuen. Viele Jugendorganisationen, setzen bewusst auf politische Neutralität oder sogar betont unpolitische Haltungen. Oder sie beschränken sich auf eine einzelne Aktion, ein Projekt oder eine bestimmte Thematik.

Was die Jungen Liberalen ausmacht, ist das klare Bekenntnis zu bestimmten, themenübergreifenden Haltungen und Werten, verbunden mit dem Anspruch, diese auch aktiv in Staat und Gesellschaft hineinzutragen. Das unterscheidet uns etwa von einem rein akademischen Debattierclub, auch wenn die lebhafte Diskussion einen wichtigen Teil unseres Verbandslebens ausmacht. Der Glauben an die Freiheit jedes Individuums und die Einsicht in die Notwendigkeit, diese Freiheit selbst zu verteidigen und auszuweiten, ist die gemeinsame Klammer von so unterschiedlichen Facetten unseres Verbandslebens.

Für mich selbst war es eine enorme Erleichterung, zu erleben, dass es auch andere jungen Menschen gibt, die an Politik interessiert sind und zugleich auch einen Wertekompass haben, dessen Ausrichtung in den großen Fragen der meinen entspricht. Diese Art von Zusammengehörigkeitsgefühl mag man wie häufig unter das Schlagwort von der Liberalen Familie bringen oder nicht – die Essenz hinter dem Ausdruck ist spürbar.

Geschützte Diskurs- und Entfaltungsräume

Die Theodor-Heuss-Akademie gilt bekanntlich als „Wohnzimmer des Liberalismus“. Dahinter steht – übertragbar auf viele weitere Orte, an denen Julis zusammenkommen – die Wertschätzung für die Möglichkeit, offen und in einer angenehmen Atmosphäre über Politik diskutieren und gleichzeitig ein geselliges Verbandsleben ausleben zu können. Diese Verknüpfung von zwanglosem Diskurs mit der Verbringung von Freiheit in zugewandter Gesellschaft hat für mich von Anfang an den Reiz der Jungen Liberalen ausgemacht und mich ungezählte Wochenenden auf Seminaren und Kongressen verbringen lassen.

Offene Türen

Gemeinschaftsgefühl ist stets zwiespältig: Es gibt kein „Wir“-Gefühl ohne, zumindest unbewusst und unterschwellig, eine Vorstellung von „den anderen“. Geschützte Räume erreichen ihren Schutz gerade durch ihren fehlenden öffentlichen Zugang. In einer früheren Ausgabe (2/20) sprach ich von den strukturellen Problemen, die damit einhergehen: Menschen fühlen sich von ihnen ähnlichen Menschen angezogen unter Ihresgleichen wohl. Dies führt dazu, dass die Zusammensetzung von Gruppen oft langfristig stabil bleibt. Gerade für eine politische Jugendorganisation, die Ideen und Ideale hochhält, die jedes Individuum einschließen, ist es ein unbefriedigender Zustand, wenn liberal Gesinnte sich nicht in der Weise angesprochen fühlen, die sie Teil der Liberalen Familie werden lässt. Dies ist ein bleibender Auftrag.

Schiefer Haussegen?

Das Jubiläum unseres Verbandes muss während einer Pandemie begangen werden – distanziert und digital. So sehr auch digitale Formate weiterentwickelt wurden und werden, so wenig können sie auf Dauer den persönlichen Austausch ersetzen, den fließenden Übergang von formeller Tagesordnung zum informellen Gespräch. Die temporäre Sperrung physischer Diskursräume zeigt zudem umso deutlicher, dass wir über die Verbandskultur im Digitalen reden müssen. Digitale Debatten verlaufen im Allgemeinen polemischer und verletzender. Hinsichtlich unserer eigenen Diskussionskultur sehe ich einen nicht unerheblichen Grund darin, dass physische Veranstaltungen nach hitzigen Diskussionen einen Entspannungsmechanismus ermöglichen: Von Angesicht zu Angesicht lassen sich Konflikte informell klären, der persönliche Kontakt verhindert aber auch präventiv, dass man die Grenzen persönlicher Angriffe nicht überschreitet – schließlich sitzt man nach der Debatte oft zusammen an der Bar. Hier braucht es mehr Sensibilität in der digitalen Diskussion, umso mehr, wenn sie auf öffentlichen zugänglichen Plattformen geführt wird.

Das Bild vom Wohnzimmer des Liberalismus wird erst durch den Hinweis auf die Hausregeln abgerundet. Geschützte Diskurs- und Entfaltungsräume erfordern auch den Schutz vor inneren Störern. Grenzüberschreitendem Verhalten ist unbedingt Einhalt zu gebieten. Hier hat der Verband noch viel vor sich, allerdings hat es auch, seit ich Mitglied bin, durchaus Veränderungen zum Guten hin gegeben. Innerhalb der Liberalen Familie werden die Jungen Liberalen auch als Aufpasser wahrgenommen: Wir weisen bei Fehlverhalten die Tür, aus dem Landeskongress wie aus dem Landtag.

Unbequem und innovativ: Auf 40 weitere Jahre jungliberale Programmatik

Für uns Liberale hat jede politische Diskussion einen Eigenwert. Mag es im Einzelfall auch sinnlose, ärgerliche, gar schwer erträgliche Beiträge geben, bewährt sich das Prinzip der freien Diskussion als Grundprinzip einer freien und offenen Gesellschaft, das nicht, wenn es gerade passend erscheint, eingeschränkt werden kann, ohne das Prinzip mit unabsehbaren Folgen auch im Ganzen zu schwächen. Ist die Meinungsfreiheit aber schon für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, weil sie erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen ermöglicht, deren Lebenselement sie ist, so gilt dies umso deutlicher für den innerverbandlichen Diskurs. Liberale Strömungen und Ansichten sind in Deutschland und anderswo in der bedrückendsten Minderheit. Wie töricht wäre es, selbst innerhalb des Liberalismus Denkverbote auszusprechen, Diskursgrenzen inhaltlicher Art zu ziehen? Nicht zu viel innerparteiliche Debatte, nicht diese oder jene philosophische Interpretation des Freiheitsbegriffs ist unser Tod, sondern die Erstickung von freiem Denken mit dem Abkanzeln im Stil von Oberlehrer und Obrigkeit: Als „nicht hilfreich“, als „kontrovers“, als „nicht das wichtigste Thema unserer Zeit“. Das ist nicht nur anmaßend, sondern auch kurzsichtig: Vieles, was heute selbstverständlich ist, war früher kontrovers und am Anfang ein verrückter Gedanke. Freiheit heißt stets Freiheit auch des Einzelnen, mag auch die Moral der Mehrheit allzu schnell bereit sein, darüber hinwegzusehen. Aus Sicht des Individuums aber gibt es keine „Nischenthemen“, jede Beschränkung seiner Rechte bedarf der Rechtfertigung.

Unser Jubiläum ist also ein Grund, innehalten, aber nicht, sich dauerhaft auf unseren Erfolgen auszuruhen. Wir wissen: Freiheit ist nicht selbstverständlich, sondern muss in jeder Generation aufs Neue erkämpft werden. Mutige Freiheitskämpfer braucht also das Land – vor vierzig Jahren, heute und auch in Zukunft.

Marc Bauer (25) ist Jurist und Mitglied des Bundesvorstandes. Ihr erreicht ihn unter