Wie entwickelt sich Autonomie? Theorien und Modelle. Fakteneinstieg Bildung

„Kinder sind wie kleine, betrunkene Erwachsene“, hab ich neulich auf einem Kühlschrankmagneten gelesen. Halbherzig originell, vielleicht für resignierte Elternteile von Vierjährigen irgendwie witzig – aber stimmt das eigentlich? Und wenn nein, wie denken und entwickeln sich Kinder dann? Drei Männer haben drei Theorien. Stellvertretend für eine Fülle von pädagogischen Modellen sind sie im Folgenden kurz zusammen gefasst.

 

Immanuel Kant

Ziel: Autonomie! Kinder sollen sich die praktische Vernunft, also das Denken und damit Menschlichkeit aneignen

Vier Etappen:

  • Disziplinierung
    • „Disziplin oder Zucht ändert die Tierheit in die Menscheit um.“
    • Erzeugung eines Gesetzesbewusstseins
    • Einführung in die Intersubjektivität, Abkehr vom Egozentrizität
  • Kultivierung
    • Unterweisung, Bildung, Belehrung
    • Auseinandersetzen mit Eigenheiten der umgebenden Kulturlandschaft
    • Freies Handeln nur nach Auseinandersetzung mit bestehender Kultur möglich
  • Zivilisierung
    • Soziale Komponente steht im Vordergrund
    • Der Mensch wird zum Mitglied der Gesellschaft
    • Möglich durch zunehmende Orientierung an und Übernahme von gesellschaftlichen Werthorizonten
  • Moralisierung
    • Abschließend mögliche, sittlich-vernünftige Werte (selbstbestimmt!)
    • Hier nicht mehr einfache Übernahme von gesellschaftlichen Werten

 

Sigmund Freud

Ja, genau – wo Freud ist, da ist auch der Sex nicht weit. In seinen sechs Phasen der psychosexuellen Entwicklung stellt Freud die mit der Geburt beginnende Entwicklung der menschlichen Sexualität dar.

  • Orale Phase
    • Erstes Lebenshalbjahr
    • Mund ist primäre Bezugsregion
    • Lustgefühle durch Reizung beim Essen/Trinken
    • Bei Störungen: im späteren Leben geringe Frustrationstoleranz, hohe Forderungen an andere
  • Narzisstische Phase
    • Zweites Lebenshalbjahr
    • Entdeckung des eigenen Körpers, Lustgefühl (Autoerotismus)
    • Bei Störungen: vermindertes Selbstvertrauen / Selbstachtung
  • Anale Phase
    • Zweites bis drittes Lebensjahr
    • Lustgefühl durch Defäkation
    • Einübung von Kontrollmechanismen (v.A. der Defäkation) in Anpassung an die Umwelt
    • Bei Störungen: Zwanghafte Persönlichkeitsstörungen, Manische persönlichkeiten
  • Phallische Phase
    • Viertes bis fünftes Lebensjahr
    • Ausbilden der Genitalregion als erogene Zonen
    • Kastrationsangst bei Jungen, Penisneid bei Mädchen
    • Ödipuskomplex (sexuelle Fixierung auf das andersgeschlechtliche Elternteil, Rivalität zum gleichgeschlichtlichen)
    • Entwicklung eines Gewissens (Über-Ich)
    • Störungen: Hysterische Persönlichkeitsstruktur
  • Latenzphase
    • Sechstes bis siebtes Lebensjahr
    • Scheinbare Unterbrechung der sexuellen Entwicklung
    • Verinnerlichung der Anforderungen der Umwelt
  • Genitale Phase
    • Achtes Lebensjahr bis Pubertät
    • Wiederaufleben von Sexualität & Ödipuskomplex
    • Hinwendung zum anderen Geschlecht

 

Jean Piaget

Grundannahme: Der Mensch strebt nach zwei Dingen: einem Gleichgewicht zwischen sich und seiner Umwelt (Adaption) sowie Organisation, bei der die eigenen Prozesse in kohärente Systeme integriert werden. Ersteres passiert dabei sowohl durch Akkomodation (der Mensch passt sich und sein Verhalten der Umwelt an) sowie Assimilation (der Mensch verändert die Umwelt so, dass sie zu seinen Wünschen und Bedürfnissen passt).

  • Sensomotorische Intelligenz
    • Bis zum zweiten Lebensjahr
    • Kinder erkunden die Umwelt und entwickeln ein erstes Verständnis für diese
    • Zusammenspiel zwischen körperlicher Bewegung und sensorischen Reizen wird koordiniert

 

  • Präoperationale Intelligenz
    • Zweites bis siebtes Lebensjahr
    • Erste soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen
    • Egozentrisches Denken – auf eigenen Erfahrungen basiert
    • Kinder können sich bis zu einem Alter von etwa fünf Jahren nicht in andere hineinversetzen (Theory of Mind), „alle denken und erfahren so wie ich“
    • Ironie oder Lügen sind nicht möglich

 

  • Konkret-Operationale Intelligenz
    • Siebtes bis elftes Lebensjahr
    • Logisches Denken in konkreten Situationen möglich
    • Langsam komplexere mathematische Aufgaben lösbar
    • Kein wirklich abstraktes Denken
  • Formal-Operationale Intelligenz
    • Ab dem elften Lebensjahr
    • Hypothesen über bisher unbekannte Themen können aufgestellt werden
    • Abstraktion möglich