Vergeben und Vergessen? – Autonomie von uns selbst

Wer von uns hat nicht schonmal etwas gesagt, dass wir jetzt nicht mehr vertreten würden? Wir haben alle mal etwas getan, worauf wir nicht stolz sind, was wir lieber vergessen möchten. Durch neue Informationen mussten wir auch alle schon  Abstand von einer früheren Aussage nehmen. Gesellschaftlich ist „vergeben und vergessen“ ein schwieriges Konzept: eine einzige Handlung kann Menschen definieren, das Einzige sein, für das man diese Person kennt. Die meisten von uns sind schuldig, negativ über eine Person geredet, diese Person auf eine Eigenschaft oder ein Gerücht reduziert zu haben. Und auch auf der anderen Seite werden wir gestanden haben. Wir haben eine Geschichte über eine Person gehört und diese geglaubt, auch wenn wir die betroffene Person nicht kannten. Manchmal geht es in solchen Gesprächen nur um Klatsch und Tratsch, manchmal ist es eine Warnung, man solle sich vor der Person über die geredet wird in Acht nehmen. Die Aussage kann richtig oder falsch sein, in beiden Fällen wird sie der Person anhängen.

Aufgrund von Social Media ist es noch schwieriger geworden, zu vergessen. Ein Neustart im realen Leben bietet keine Sicherheit vor der Vergangenheit. Dabei wurde das „Recht auf Vergessen“ lange diskutiert. Dort haben wir uns dafür eingesetzt, dass jeder Bürger ein Recht darauf hat, dass seine personenbezogenen Daten gelöscht werden, sollte er das wünschen. Hier erlauben wir, dass eine Person sich von der Vergangenheit distanzieren kann, dass sie ihre Meinung ändern kann.

Die Resozialisierung von Straftätern ist ein für Liberale integraler Bestandteil der Strafgesetzgebung. Wir argumentieren, dass Straftäter ihre Strafe verbüßt haben sobald diese beendet ist und wir ihnen die Chance geben müssen, wieder der Gesellschaft anzugehören, am Alltag teilzunehmen und dieselben Rechte und Pflichten wahrzunehmen, wie alle anderen.. Die entlassenen Straftäter sollen nicht aufgrund ihrer Tat vorverurteilt werden, sondern die Möglichkeit haben, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wir gehen nicht davon aus, dass sie ihre Tat wiederholen und deswegen sind dauerhaft präventive Maßnahmen nicht gerechtfertigt.

Ein wichtiger Wert für die liberale Familie ist die Unschuldsvermutung. Dem beschuldigten muss nachgewiesen werden, dass er eine Straftat begangen hat, bevor er bestraft wird. Auch wenn in der gesamtgesellschaftlichen Debatte immer wieder eine Vorverurteilung eines Angeklagten stattfindet, halten wir unsere liberalen Werte entgegen und erinnern daran, dass dem Angeklagten seine Schuld noch nicht bewiesen werden konnte oder der Angeklagte noch nicht die Möglichkeit hatte, seine Seite darzulegen.

Auch innerverbandlich ist es schwer möglich sich von Aussagen und Geschehnissen loszusagen. Aufgrund ihrer abweichenden Positionen zu einzelnen Themen, die sich eindeutig im demokratischen Spektrum befinden, wurden Mitglieder ausgegrenzt. Auf einem LaKo oder einem BuKo informieren sich viele nicht über die Kandidaten, sondern wählen die Person, weil der Bezirksvorsitzende oder der Landesvorsitzende das vorgibt. Oder andersherum, wählen eine Person nicht, weil sie aus X kommt. In unserem Verband kann man als „verbrannt“ gelten, weil man eine Wahl verloren hat, gegen einen Antrag gesprochen hat, oder die Leute mit denen man seine Freizeit verbringt einen schlechten Ruf haben. So verschließen wir uns, indem wir diese Nichtigkeiten nicht zur Seite räumen können, Menschen die es verdient hätten gehört und inkludiert zu werden. Ich rede hier nicht von Straftaten die begangen wurden, denn leider ist auch das, gerade im sexualisierten Sinne, eine Situation mit der wir umgehen müssen. Diese Mitglieder gehören in ein Gespräch mit den Vertrauenspersonen und wenn diese das für angemessen halten in ein Schiedsgerichtsverfahren. Ich spreche von den vielen Kleinigkeiten aufgrund derer wir nicht mit einer Person sprechen, den eigentlich guten Antrag ablehnen oder jemandem ein schlechtes Wahlergebnis geben. Warum ist dieses Verhalten noch immer gängige Praxis, wenn wir uns für die oben angeführten Beispiele einsetzen?

Anna Hommen (21) studiert Geographie an der Uni Köln. Sie ist die stellvertretende Leiterin des BAK Umwelt/Verkehr und Bau sowie die Programmatikerin der LHG NRW. Erreichen könnt ihr sie unter