Interview Autonomie

Tabea: Vielleicht zum Einstieg erstmal das klassische “Wer bist du eigentlich?”

Cindy: Also, ich bin Cindy Klink, 23, und bin seit meinem dritten Lebensjahr taubheitsgrenzend schwerhörig also fast gehörlos. Ich performe Lieder in Gebärdensprache und betreibe Aufklärung über Social Media im Bereich Hörbehinderung.

Tabea: Über Social Media bin ich auch auf dich aufmerksam geworden – du hast bei TikTok über 620.000 Follower und dort zu Beginn der CoViD19 Pandemie ein sehr emotionales Video hochgeladen, in dem du die Probleme thematisierst, die mit einer MNS-Pflicht zusammenhängen. Magst du kurz zusammenfassen, was damals das Problem war und was sich seitdem getan hat?

Cindy: Als ich das Video hochgeladen habe, war die Rede davon die Maskenpflicht einzuführen. Da zurzeit vereinzelte Menschen schon Masken trugen und ich wusste wie schwierig die Kommunikation ist, und es keine gute barrierefreie Lösung gibt, hat mir das ein wenig Angst gemacht komplett von der Gesellschaft abgekappt zu sein. Mir ging es weniger ums Einkaufen, aber ich habe heute noch Probleme Bestellungen vor Ort zu tätigen, die Kassierer zu verstehen oder eben die Arzthelfer sowie Ärzte. Menschen, die mich kennen und mit mir zusammenarbeiten, zeigen Verständnis. Ich greife oft zu Stift und Papier oder tippe etwas aufs Handy. Ich rede nicht mehr mit den Menschen, damit man mich so behandelt damit ich sie verstehe. Und ich find das traurig, dass ich selbst etwas aufgeben muss damit Menschen verstehen was mein Bedarf ist.

Tabea: Normalerweise sprichst du im Alltag und setzt dir ihre Antworten aus Lippenlesen und Zusammenhang zusammen?

Cindy: Genau.

Tabea: Du beschreibst, dass es auch bei Arztbesuchen schwerer geworden ist zu kommunizieren, insgesamt ist die Ausgangslage ja auch nicht so berauschend. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung beherrschen nur etwa 80 Ärztinnen und Ärzte die deutsche Gebärdensprache (DGS) – im Verhältnis zu etwa 80.000 Gehörlosen. Kannst du Arztbesuche immer allein unternehmen oder brauchst du manchmal ein Familienmitglied, das dich begleitet?

Cindy: Es kommt immer darauf an zu welchem Arzt ich gehe und wann der Termin ist. Bei den meisten habe ich ein Gebärdensprachdolmetscher vor Ort, normal habe ich kaum welche benötigt. Aber seit der Maskenpflicht ist es für mich wichtig einen vor Ort zu haben. In meiner Familie sind alle gehörlos, außer meine Schwester. Allerdings wohnen wir nicht so nah aneinander, dass sie für mich dolmetschen könnte.

Tabea: Gebärdendolmetscher sind dadurch sicher stark gefragt derzeit, wie läuft das denn organisatorisch ab? Musst du die Dolmetscher dann privat bezahlen, oder gibt es da finanzielle Unterstützungen?

Cindy: Es kommt drauf an, wofür man sie benötigt. Brauche ich sie für Arzt Termine wird das direkt mit der Krankenkasse abgewickelt und da gibt es zum Glück keine Probleme.

Tabea: Und sonst im Alltag, gibt es da Bereiche, in denen du dich einschränken musst, vielleicht durch Corona noch mehr als sonst, weil du nicht die Möglichkeit hast zu kommunizieren oder Menschen verständnislos reagieren?

Cindy: Beim Einkaufen, wenn man im Restaurant mit dem Kellner spricht, wenn man beim McDonalds oder BurgerKing steht und etwas bestellen möchte, wenn man Fragen hat in einem Elektronikgeschäft, auf der Arbeit, etc. da meide ich schon jeden Versuch zu kommunizieren. Vor allem auch in der Abendschule tragen die meisten Lehrer Masken, klar ich habe online Schriftdolmetscher – allerdings braucht es 30 Sekunden bis das Gesagte mir niedergeschrieben angezeigt wird und so kann ich nicht mal im Unterricht mitarbeiten. Die meisten Lehrer zeigen da auch absolut kein Verständnis. Ebenso die Schüler, wenn ich höflich drum bitte es nochmal zu wiederholen. In den meisten Fällen gehe ich gar nicht mal hin. Bei Arzt Terminen war es bei mir immer so, dass ich vor Ort den Termin gemacht habe, das geht zurzeit leider nicht. Telefonisch geht bei gar nicht und per Mail wollen kaum welche einen Termin abwickeln und das finde ich überhaupt nicht barrierefrei. Ich finde das total schade.

Tabea: Das sind echt viele Bereiche, die nicht gut laufen. Viele der Leserinnen und Leser fragen sich an dieser Stelle bestimmt, wie sie in solchen Situationen besser reagieren könnten – was wünscht du dir im Alltag, wie Menschen, die dich nicht kennen, damit umgehen?

Cindy: Ich wünsche mir mehr Verständnis. Wenn ich sage, dass ich nicht gut hören kann und gar nichts verstehe, dass Anschreien einem auch nichts bringt und man eventuell zur schriftlichen Lösung übergeht, wenn man keine Lust hat alles zweimal zu wiederholen. Aber selbst da bin ich schon auf Situationen gestoßen, wo man das nicht wollte und das fand ich traurig.

Tabea: Nun machen wir JuLis ja auch Politik und wollen, dass möglichst viele junge Menschen die Möglichkeit haben, sich politisch zu informieren. Wie sieht das in der aktuellen Politik aus, gibt es z.B. ausreichend Möglichkeiten RKI-Pressekonferenzen oder Bundestagsdebatten mit Untertiteln zu sehen?

Cindy: So viel ich weiß ist in der RKI-Pressekonferenz immer ein Dolmetscher vor Ort. Untertitel ist mal so und mal so verfügbar, aber wenn, dann auch nicht immer so gut. Verzögerungen sind klar bei einer Liveübertragung, allerdings fehlt gefühlt manchmal die Hälfte. Untertitel reichen allerdings meistens nicht aus. Viele verstehen das nicht oder können das nicht lesen, von daher ist der parallele Einsatz eines Dolmetschers immer sinnvoll.

Tabea: Wenn man nicht die Möglichkeit eines Dolmetschers hat, wäre es hilfreich zum Beispiel das Redemanuskript bei Social Media Posts mithochzuladen?

Cindy: Das wäre auch eine Möglichkeit, ja.

Tabea: Das könnten wir zum Beispiel für unsere Arbeit mitaufnehmen! Hast du den Eindruck, du kannst Einfluss nehmen in der Politik, wenn du das möchtest? Und falls nein: Was hält dich davon ab, was müsste sich ändern?

Cindy Klink: Ich denke schon, dass es möglich wäre. Jeder könnte das, wenn man das will. 🙂

Tabea: Das ist eine super Einstellung! Gibt es etwas, was dich politisch aktuell stört?

Cindy: In Bezug auf Inklusion hinken wir da leider echt hinterher. Und das ist auch das Thema was mich stört: es bleibt irgendwie immer nur eine nette Idee.

Tabea: Was könnte man da besser machen?

Cindy: Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden und Straßenverkehr wäre ein Anfang. Das ist vor allem hier auf dem Land überhaupt nicht angekommen… Unter Barrierefreiheit verstehen leider auch viele, dass man einfach nur ein Fahrstuhl einbauen muss, dabei ist es mehr als das.

Tabea: Da müssen wir auf jeden Fall am Ball bleiben! Wenn du ein Gesetz erlassen oder abschaffen könntest, welches wäre das?

Cindy: Puh, gute Frage. Auf jeden Fall, dass die deutsche Gebärdensprache eine Amtssprache ist.

Tabea: Das finde ich ist eine starke Forderung, über die eingehender diskutiert werden sollte! Danke, dass du dir die Zeit genommen hast!