Vertrauen ins Individuum: Volljährigkeit ab 16

Der 27.10.2019 war einer dieser Tage. Es lag etwas in der Atmosphäre. Was sagt einem das Menschenbild? Wer ist verantwortungslos? Welche Vision muss gewagt werden?

Der Landeskongress in Borken bot einige hitzige Diskussionen. Eine Debatte war hingegen besonders emotional, lebendig und hitzig: Die Volljährigkeit ab 16. Es gibt Themen (nichts gegen Landwirtschaft), bei denen eine kleine Minderheit mitdiskutiert und sich unmittelbar betroffen fühlt. Diese Debatte schlug und schlägt zwei Lager. Und das macht es wirklich spannend.

In diesem Magazin geht es vor allem um die Frage des Vertrauens. Eine zentrale Frage. Dennoch muss man bei der Altersgrenze mehrere Ebenen betrachten:

  1. Bedeutung der Volljährigkeit

Bereits früh kommt der Zeitpunkt, in dem man empörten Eltern den Satz „Ich wünschte ich wäre erwachsen“ hinterherbrüllt, wenn man sich überstimmt und bevormundet fühlt. Tatsächlich ist der Begriff der Mündigkeit zentral für die Frage der Volljährigkeit. Bereits heute bedeutet die Altersgrenze 18 nicht das Ende falscher Einschätzungen oder irrationaler Kurzschlüsse. Vielmehr geht es für mich um das kritische Reflektieren von Meinungen, Alltagssituationen und einer selbst. Ich stehe z.B. für ein Wahlrecht ab 16, nicht jedoch für ein Wahlrecht qua Geburt, wie es die JuLis Hamburg fordern. Mit 16 kann man kritisch gesellschaftliche Ereignisse einordnen und sich auch damit auseinandersetzen, wenn u.a. die Eltern gut gemeinte Empfehlungen an einen abgeben. Mit zwölf ist dies in der Regel nicht möglich. Hier wird das Kind zu oft Übermittler des Wahlwunsches der Eltern. Keine Spur von Mündigkeit.

  1. Menschenbild

Im Zentrum der Debatte um die Volljährigkeit stehen oftmals Beispiele. Befürworter nennen junge Menschen, die weit überdurchschnittlich früh gewisse Leistungen vollbracht haben und z.T. gesamtgesellschaftliche Veränderungen bewirkt haben. Gegenläufige Beispiele sind unreife 16-Jährige, die von Eskapade zu Eskapade wanken oder ihr Leben nicht im Griff haben. Beide Beispiele geben die Realität nur bedingt wieder. Erwartet man von einem volljährigen Menschen gewisse kognitive Mindeststandards, so müsste man so konsequent sein und einen Test einführen, der über die Volljährigkeit entscheidet.

Als Liberale glauben wir an das Individuum. Dazu kommt meine feste Überzeugung, dass mit steigender Verantwortung auch eine höhere Reife einhergeht. Ich selber habe festgestellt, wie schnell ich nach Beginn meiner Ausbildung an meinen Aufgaben gereift bin. Viele Ausbildungen können mit 16 nach einem Realschulabschluss begonnen werden. Ein Zeitpunkt, an dem es sinnvoll sein kann, einen Mietvertrag alleine zu unterzeichnen und sich mit einem Auto im Straßenverkehr zu bewegen. Natürlich hätte ich und sollte man sich beim Abschluss von wichtigen Verträgen die Hilfe von erfahrenen Menschen suchen. Dennoch sollte man auch zerrüttete Familien in den Blick nehmen, in denen jungen Menschen die Hände gebunden werden oder ein Leben auf eigenen Beinen beginnen können. Nicht jeder wird einen Führerschein mit 16 finanzieren können. Vermutlich werden ihn auch viele nicht bestehen können. Aber: Für mich geht es bei der Volljährigkeit um ein Menschenbild, welches an einen glaubt. Es geht um das Ermöglichen des Könnens bei gleichzeitiger Wahrung staatlicher Aufsichtspflichten. Deshalb glaube ich auch nicht, dass bei einer Herabsetzung der Volljährigkeit die Anzahl an Früh-Alkoholikern ansteigen, die Schulabbrecher-Quote in die Höhe schnellen wird oder die Unfallquoten im Straßenverkehr explodieren werden.

  1. Biologische Komponente

Die philosophische Betrachtung des „Erwachsen-Sein“ darf nicht mit den Begriffen „ausgewachsen“ und schon gar nicht mit dem Status der Volljährigkeit verwechselt werden. Es gibt Momente, in denen ich mich noch heute alles andere als erwachsen fühle. Hier geht es um eine subjektive Einschätzung, die sich meistens an Klischees und Pseudo-Erwachsenen-Faktoren orientieren.

Geht man, wie oben beschrieben, von einer Volljährigkeit aus, die sich an dem Ermöglichen des Könnens bei gleichzeitiger Wahrung der staatlichen Schutzpflicht, orientiert, muss man die Mündigkeit in den Fokus nehmen. Diese entsteht während der Pubertät, zunächst meistens durch bewusste Abgrenzung von den Eltern, später jedoch mit einer deutlich verstärkten Selbstreflektion. Bei vielen Frauen ist die Pubertät mit 16 bereits in den Endzügen. Bei Jungen dauert diese zumeist länger. Zudem lässt sich über die vergangenen 100 Jahre ein deutlich früher Einsetzender Eisprung bei Frauen feststellen. Der Reifungsprozess wird somit deutlich nach vorne verschoben. So lässt sich aus biologischer Sicht sagen, dass die Pubertät in vielen Fällen zwar mit 16 noch nicht absolviert ist. Dennoch ist es auch ein klares Zeichen der steigenden Eigenverantwortung in einer Phase der wachsenden Mündigkeit einem Menschen die Volljährigkeit zuzugestehen.

  1. Fazit: Angst ist kein guter Ratgeber

Eine ausführliche Betrachtung des Themas müsste sich wohl über deutlich mehr Seiten erstrecken. Dennoch wird eines deutlich: Es wird Menschen geben, die aus einer Herabsetzung der Volljährigkeit großes Generieren und früher Eigenverantwortung zeigen, ihren eigenen Weg konsequenter gehen und sich selber verwirklichen können. Es wird Menschen geben, die auf Basis einer früheren Volljährigkeit große Fehler begehen werden und sich womöglich Chancen zunächst verbauen. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass Fehler nur selten durch den Status der Volljährigkeit beeinflusst werden und grundsätzlich oft in einem konstruktiven Entwicklungsprozess eine langfristig positive Rolle spielen. Vergessen wir zudem nicht, dass sich für ganz viele Menschen im Alltag nicht viel verändern wird, egal ob sie mit 16 volljährig sind oder nicht. Ich selbst hätte vermutlich so oder so viel zu viel Zeit mit dem Fußball-Manager verbracht.

Die Frage der Volljährigkeit ab 16 fordert Optimismus. Sie fordert auch viel Mut. Sie erfordert auch Empathie gegenüber anderen Entscheidungen, auch wenn sie für einen zunächst sinnvoll klingen. Kurzum: Es steht uns Liberalen quasi in der DNA, diesen Schritt einzufordern und damit eine große gesamtgesellschaftliche Debatte anzuführen. Wer sich die Demographie in Deutschland anschaut merkt, dass es zudem notwendig sein wird, jüngeren Menschen grundsätzlich mehr zuzutrauen, wenn man den Trend zum Senioren-Staat nicht weiterführen möchte.

Ich freue mich auf die nächste hitzige Debatte auf einem Landeskongress. Hoffentlich ganz bald.

 

Tim Schütz (23) arbeitet in Essen für einen großen Baukonzern im Bereich Kommunikation & Politik, ist Mitglied im Landesvorstand der JuLis NRW und leitet zudem den Bundesarbeitskreis Umwelt, Verkehr und Bau der Jungen Liberalen. Ihr erreicht ihn unter: