Vertraue ich dem Staat?

Nein, natürlich nicht. Ich bin ja nicht verrückt, in der JU oder bei den Jusos. Das war mein erster Gedanke zu dieser Frage. Das ist natürlich völliger Unsinn und für einen Liberalen viel zu undifferenziert, wobei es auch vollkommen richtig ist. Ein Versuch zu erklären, wieso dem Staat zu vertrauen so kompliziert ist.

 

„Hi, ich bin von der Regierung und komme, um dir zu helfen!“ Die für Ronald Reagan schlimmsten Wörter der amerikanischen Sprache klingen im etatistischen Deutschland noch viel furchtbarer. Und sie zeigen das vielleicht größte Feld, in dem man dem Staat nicht vertrauen sollte: Der eigenen Lebensführung. Niemand weiß über unser Leben besser Bescheid als wir. Warum sollten wir also hier die Problemlösung jemand anderem überlassen? Zumal einem unpersönlichen und kalten Konstrukt wie dem Staat, statt unseren Freunden, Familien und Nächsten oder uns selbst?

 

Entscheidungen sollten möglichst immer da getroffen werden, wo sie ihre Wirkung entfalten. Daher lieben wir Liberalen den Dezentralismus. Dezentralerer Entscheidungen als die des Individuums gibt es nicht. Der erste Grund dem Staat nicht zu vertrauen ist also der, dass wir für uns Entscheidungen viel besser treffen können.

 

Der unfähige Staat

 

Warum man dem Staat nicht vertrauen sollte, sieht auch jeder in seiner eigenen Stadt: Jedes private E-Scooter-Unternehmen läuft besser und zuverlässiger als der städtische Verkehrsbetrieb. Die Wohnzimmer unser Großeltern sind digitaler als die Klassenräume und jeder Fluss ist oft cooler als das kommunale Schwimmbad. Oft kann man dem Staat also nicht vertrauen, weil er schlicht unfähig ist. Und das gar nicht aus einer per se staatskritischen Haltung (auch wenn diese natürlich völlig richtig ist), sondern weil man die Realität anerkennt.

 

Ein Blick ins Bundesland Berlin zeigt es noch deutlicher: Unglaubliche Unfähigkeit, einen Flughafen zu bauen, Kriminalität zu bekämpfen und das Bildungssystem zu reformieren. Wenn mich ein Freund zum zehnten Mal verarscht (entschuldigt!), vertraue ich ihm doch auch nicht mehr blind. Warum tun es dann so viele beim Staat?

 

Wer ist der Staat, dass er glaubt, besser über unser Leben entscheiden zu können als wir?

 

Eltern wissen besser, auf welche Schule ihre Kinder gehen sollten, Kunstliebhaber, welche Kultureinrichtungen sie fördern wollen und Bürger, welche Währung sie am besten benutzen. Wer ist der Staat, dass er glaubt, besser über unser Leben entscheiden zu können als wir? Aus demselben Grund misstrauen Liberale zunächst grundsätzlich jedem Verbot. Wir wissen selber, was gut für uns ist. Einem rechtmäßigen Staat ist es schon per se gar nicht möglich, so viel über seine Bürger zu wissen, dass er ihre Entscheidungen treffen könnte.

 

„Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut.“

 

Besser als Lord Acton kann man es vermeintlich kaum sagen. Einer Institution zu vertrauen, in der sich die Macht so konzentriert wie dem Staat, ist schwierig. Immer wenn sich Macht sammelt, geht irgendwas schief. Und je größer und mächtiger der Staat, desto folgenschwerer die Fehler oder tyrannischen Entscheidungen. Hier könnte man zahlreiche Beispiele bringen, wie zum Beispiel die Kriege und Menschenrechtsverbrechen des letzten Jahrhunderts. Aber ein Blick ins diktatorische Ostasien (nicht die Republik China, die ist demokratisch) genügt.

 

Misstrauen als Schutz

 

Ein Misstrauen gegenüber dem Staat beschützt uns selbst, zumindest in einer Demokratie. Misstrauen wir dem Staat, geben wir ihm nur widerwillig mehr Macht über uns. Dass er es „gut meint“, gilt nicht, denn wir wissen, was schief gehen kann. So sind große Machtausnutzungen gar nicht möglich, denn ihm fehlt diese Macht. Etwas kann nie sowohl frei als auch durch den Staat gelenkt sein. Daher sollte man dem Staat der Freiheit wegen stets misstrauen.

 

Ein Einwand mag sein, man müsse hier zwischen „guten“ und „schlechten“ Staaten unterscheiden. Die DDR war zum Beispiel ein „schlechter“ Staat, die BRD ein „guter“. Diese Unterscheidung spielt beim Vertrauen in den Staat allerdings keine Rolle. Hat ein Staat erst einmal das Vertrauen der Menschen und damit die Macht über sie, braucht nur die Regierung zu wechseln und der Staat wird plötzlich „böse“. Ein Umschwung ist immer möglich.

 

Misstrauen als Beschränkung der Macht

 

Wir sehen, dass wir versuchen müssen, den Staat so zu bauen, dass er nicht ganz „böse“ werden kann. Karl Popper stellte es wie folgt dar: „Die Institutionen einer Gesellschaft sind so gestaltet, dass sie sich gegenseitig in Schach halten, dass keine einzige Institution die absolute Macht ergreifen kann.“ Genau dafür sorgt ein gesundes Misstrauen. Wer misstraut, sorgt dafür, dass die Macht aller möglichst beschränkt ist. Das Grundgesetz ist perfekt dafür.

 

Der Liberale vertraut jedoch immer auf einzelne Institutionen des Staates. Wir vertrauen auf die klugen Richter am Bundesverfassungsgericht, dass diese unsere großartige Verfassung schützen. Und wir vertrauen darauf, dass mutige Soldaten der Bundeswehr im Zweifel unsere Freiheit nach außen verteidigen, wie die Polizisten sie nach innen verteidigen. Manche vertrauen sogar darauf, dass der Staat die besseren Straßen baut.

 

Was wäre die Freiheit ohne die Garantie des Staates?

 

Liberalismus geht nicht ohne einen funktionierenden Staat. Wir müssen darauf vertrauen, dass der Staat unsere Freiheit, das Eigentum und die Wettbewerbsordnung beschützt. (Neben der Gewährleistung der Bildung etc.) Alles andere würde zu ständiger Angst und Chaos führen. Und einem Staat, der diese Aufgaben hat, müssen wir zwangsläufig vertrauen.

 

Dem Staat gegenüber nicht blind zu vertrauen, ist also richtig. Wir Liberalen müssen allerdings einsehen, dass unser politisches Konzept ohne diesen nicht aufgeht. Daher ist ein gesundes Misstrauen & beschränktes Vertrauen sehr wichtig. Unser Ziel muss es daher sein, die (mögliche) Macht des Staates auf ein so geringes Minimum so begrenzen, dass es uns gut möglich ist, ihm kritisch zu vertrauen. Einem schlanken & begrenzten Staat zu vertrauen, ist kein Problem. Selbst wenn dieser durch die Falschen regiert werden sollte, wäre seine Zerstörungsmacht begrenzt.

 

Vertrauen darf nicht zu weniger Freiheit führen

 

Ein Problem mit dem Vertrauen in den Staat gibt es, wenn es dazu führt, dem Staat naiv immer mehr Macht über uns zu geben. Vertrauen darf nicht zu weniger Freiheit führen. Der Staat ist nicht unser bester Freund, schon gar nicht unser Vater. Er ist der Zusammenschluss der Gesellschafft, um diese effektiver zu gestalten, unsere Freiheit zu beschützen und Aufstieg zu garantieren.

 

Meine Frage des Anfangs klar mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, ist ergo unmöglich. Wer das kann, hat nicht nachgedacht oder ist kein Liberaler. Liberalismus funktioniert weder mit einem Staat, dem man vollkommen vertraut noch mit einem, dem man vollkommen misstraut. Wir Liberalen müssen dafür kämpfen, dass es möglich ist, ihm zu vertrauen, weil seine Macht über uns nicht ausreicht, um uns zu schaden.

 

Torben Hundsdörfer (16) besucht die 11. Klasse eines Gymnasiums in Ostwestfalen-Lippe und ist Stellvertretender Kreisvorsitzender der JuLis Lippe. Neben der Schule studiert er Jura in einem Frühstudium an der Uni Bielefeld. Ihr erreicht ihn unter .