This is Sparta!

Mit einem verbissenen Gesicht, die kleinen Hände in den Boden gestemmt kämpft er sichtlich gegen die Schwerkraft als sich sein schmaler Oberkörper von den Matten löst. Schweiß steht ihm auf der Stirn, seine Augen sind starr nach unten gerichtet bis sich der Blick kurz löst und über die anderen Kinder der Gruppe zuckt. „Zieht! Letzter jetzt!“ dröhnt eine tiefe Männerstimme. Letzte Kraftmobilisation, er beißt die Zähne zusammen und senkt in der nächsten Liegestütz die Brust noch einmal dem Boden entgegen. Seine Ellbogen zittern leicht als er sich wieder hochstemmt. Ein Schweißtropfen rinnt ihm von der Stirn und zerplatzt auf der schwarzen Matte. Entschlossen beißt er die Lippen zusammen und bietet alles auf, was die Oberarme noch hergeben. Endlich drückt er die Arme durch. Er atmet stoßartig aus, sein Kiefer entspannt sich. Er lässt sich auf die Knie fallen. Mit dem kurzen Tshirt Ärmel reibt er sich den Schweiß von der Stirn. Geschafft. Jemand klopft ihm auf die Schulter und sagt etwas, er lacht. „Gut Jungs, stark. Alle aufstehen jetzt.“ Mit einer Kraft, die man ihm nicht mehr zugetraut hätte springt er auf die Füße. Die Augen glänzen. Es geht weiter.

Mit ihm sind etwa zwanzig Jungen zwischen zehn und vierzehn auf der Matte. Sie trainieren neben einem Käfig mit Zäunen aus Drahtgeflecht und gepolsterten Balken. „Den nutzen wir für Mixed Martial Arts, da brauchst du den. Und manchmal auch als zusätzlichen Trainingsraum wenn hier alles voll ist.“ erklärt mir Kasim. Ihm gehört Sparta. Nicht das echte, ursprüngliche, sondern das Kampfsportstudio im Aachener Süden, in dem wir stehen. Vor drei Jahren hat er es eröffnet, seitdem trainiert er hier neben Kindern auch Jugendliche und Erwachsene – im Ringen, Boxen, Kickboxen und MMA vor allen Dingen. Insgesamt etwa 400 Leute sind hier angemeldet und kommen regelmäßig zum Training.

„Wollen wir uns raussetzen? Komm wir setzen uns raus.“ Ich folge Kasim aus der Halle heraus, er streift sich im Gehen ein Tshirt über. Zwei Jungen von etwa dreizehn Jahren sitzen auf Plastikstühlen vor der Tür, als wir hinaustreten und den Schweißgeruch der Halle gegen die Sommerluft des Aachener Vororts tauschen. „Jungs, holt mal eine Bank“ bittet Kasim – beide springen auf und verschwinden um kurz danach eine Bank ins Freie zu schleppen. Wir setzen uns. Der eine  der beiden entfernt sich, der andere nimmt ein paar Meter vor uns wieder auf seinem Plastikstuhl Platz. Er zieht die Knie unter das Kinn und umschlingt die Beine. Das Gespräch über wird er uns beobachten, nicht aufdringlich aber mit einer durchdringenden Neugier.  Wir schauen auf die Vorderseite der Halle die von einer schwarzen Plane dominiert wird: „KKS Sparta“ prangt in roten Lettern auf dem dunklen Hintergrund, mit schmalen Sehschlitzen blickt ein stilisierter Soldatenhelm uns entgegen. „Das hier war ja eigentlich nur ein Zufall.“ beginnt Kasim „ich habe eigentlich was kleineres gesucht, nur für mich zum Training.“ Kasim – und das sollte man erwähnen, sonst ergibt die Geschichte wenig Sinn, ist selbst professioneller Ringer und MMA Kämpfer. Er kennt den Käfig der in seiner Halle steht also schon länger von innen. „Aber dann habe ich in einem von unseren Kiosken einen Bekannten meiner Familie getroffen, den hab ich dann angesprochen. Der hatte sich die Halle hier eigentlich für private Zwecke gebaut, hat hier Partys gefeiert und Kunstrasen reingelegt, damit seine Kinder Fußball spielen konnten. Seit ein paar Jahren lag das aber brach.“ Zwei Männer mit Sporttasche kommen auf uns zu, einer lacht während der andere erzählt. Bevor sie in der Halle verschwinden, treten sie zur Bank. Beide reichen Kasim die Hand. „Hallo mein Lieber.“ Begrüßt er beide. Auch mir schütteln die zwei die Hand bevor sie sich umdrehen. „Naja und dann konnte ich das halt hier übernehmen.“ „Aber ihr zahlt Miete?“ frage ich nach. Kasim nickt. „Ja klar, aber das erste Jahr mussten wir nicht. Sonst wär das auch gar nicht möglich gewesen, ich brauchte ja erstmal Mitglieder und wir mussten hier was aufbauen.“ Sie finanzieren sich mittlerweile zum Großteil über Mitgliederbeiträge, zum Teil auch über private Sponsoren. Staatliche Unterstützung gab es keine.

Wieder in der Halle umfangen uns ein Stimmenwirrwarr und der allgegenwärtige Geruch nach Schweiß. Das Kindertraining scheint beendet, ein paar der Jungen packen ihre  Taschen noch zusammen. Einer steht vor seinem Trainer auf der Matte. Seine schmalen Schultern bilden einen seltsamen Kontrast zu seinem Mentor, dem ich zutrauen würde einen der Traktorreifen die an der Wand lehnen mit links durch die Halle zu werfen. Mit wachen, klaren Augen blickt der Junge hoch in das Gesicht des Älteren. Er hört zu, nickt eifrig als der einige Bewegungen andeutet. Schließlich bekommt er einen kurzen Klaps auf die Schulter und läuft Richtung Umkleide. Er strahlt.

Als ich herkam, um etwas über Selbstvertrauen und Sport zu lernen, hatte ich erwartet, dass es um Leistung geht. Um Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in den eigenen Körper, um Disziplin und Kampfgeist. Kasim sagt, das sei nicht alles. „Oft ist es auch Anerkennung, die man hier bekommt. Anerkennung für eigene Leistung, Motivation und die sozialen Kontakte die man hier knüpft.“ Das Umfeld ist hier wichtig, der Umgang miteinander keine Nebensache. Es geht um Respekt voreinander, vor der Leistung der anderen und vor dem Training. Wer die Halle betritt, gibt Kasim meist die Hand und grüßt auch die anderen. Als ich etwas deplatziert in der Halle stehe, wird mir ein Stuhl angeboten, kurz danach halte ich eine kalte Flasche Wasser in der Hand. „Die familiäre Stimmung hier ist mir wichtig, wer nur kommt um Blödsinn zu machen kann gleich wieder gehen.“ Erklärt Kasim.

„Ey ich schaff heute nicht so viel, das wird richtig schlimm Kasim, mein Steißbein ist total im Arsch.“ Klagt eine Frau mittleren Alters. Ihr Arm ist tätowiert, die blonden Haare hat sie nachlässig zu einem Dutt gebunden. „Ist doch völlig egal, mach einfach was du schaffst und so gut es geht.“ Ermuntert er. „Was nicht geht das geht halt nicht.“ Sie nickt. „Ich hab Lukas auch schon Bescheid gesagt.“ Erklärt sie und zuckt die Schultern. Plötzlich ein Lachen: „Ich werd` s schon überleben oder?“ fragt sie und dreht sich um, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie ist vor allem hier, weil das Training ihr hilft, psychisch stabil zu bleiben erzählt Kasim später. Manchmal, wenn sich etwas anbahnt, dann verschwinde sie für Wochen. Aber die regelmäßigen Trainings, der Sport und der Kontakt helfen. Es ist „gesunder Kontakt“ – Kontakt mit Menschen, die etwas erreichen wollen. Die dafür  hart arbeiten und sich gegenseitig mit Respekt begegnen. Das kann viel verändern; nicht nur für sie, auch für die Kinder und Jugendlichen die herkommen.

„Na los Jungs!“ Einer der Trainer klatscht in die Hände als er an zwei Ledersesseln vorbeiläuft, um die sich ein paar Teenager versammelt haben. Die Jungen springen auf – schlaksig, wie sich das für 16 Jährige gehört, aber erstaunlich behände. Gehorsam traben sie hinter ihrem Trainer her und folgen ihm in einen der geräumigen Käfige. Er schließt die Gruppe von innen ein und stellt sich in die Mitte. Mit einem Kommando bringt er sie zum Laufen, im Kreis hintereinander her. Sie lassen die Arme kreisen, bücken sich zum Boden, springen in die Höhe. Er gibt kurze, scharfe Anweisungen, die in die Tat umgesetzt werden. Als sie sich im Kreis aufstellen, fliegen Tritte gegen unsichtbare Gegner. Kurz, rhythmisch und kraftvoll arbeiten die Sportler im Käfig sich an den Pseudo-Gegnern ab bevor sie sich je zu zweit zusammen tun. Sie ersetzen das eingebildete gegen das reale Gegenüber, überall sind dumpfe Schläge zu hören wenn ein Fuß oder ein Schienbein auf Brust oder Oberschenkel trifft. Lauter allerdings hört man die Kommentare dazu. „Ja, schön! Komm zieh durch, da geht noch was. Sauber!“. Man spornt sich gegenseitig an, tritt schneller und fester bis die Rollen getauscht werden. Dann steckt man ein, hält stand und  ermutigt das Gegenüber. Während ich beobachte, wie am anderen Ende der Halle Boxsäcke mit Schlägen bedeckt werden, frage ich Kasim ob er glaubt, dass Kampfsport mehr Selbstvertrauen gibt als andere Sportarten. Ich erwarte ein ja, erwarte eine Erklärung über Selbstverteidigung und Kampf und Körpergefühl. Kasim sagt nein. Überrascht schaue ich ihn an. „Wenn du gerne Volleyball spielst, eine gute Volleyballspielerin bist und da viel erreichst, ist das genauso gut. Das ist einfach eine Frage von individuellen Vorlieben. Manche haben halt ein Talent für Kampfsport.“ Als ich meine Aufmerksamkeit wieder den Kämpfern im Ring zuwende, beginne ich, zu verstehen. Die Tritte dauern an, vielen steht der Schweiß auf der Stirn, wer ohne Tshirt trainiert glänzt am ganzen Oberkörper. „Na los Leute, ein paar noch, zieht durch.“ Ich kenne den Ausdruck in ihren Gesichtern vom Jungen mit den Liegestützen. Sie kämpfen, Kiefer malmen und hier und da hört man ein unterdrücktes Stöhnen. Die Beine sind schwer geworden, das Hochreißen kostet Kraft, die langsam ausgeht. Die Füße fallen schwerfällig zurück. „Noch vier stück, na los!“. Ein Durchatmen, Schultern straffen sich. Die Gesichter sind verzerrt, aber entschlossen. Der letzte Tritt, dann Erlösung. „Schön, sehr gut! Gut gemacht.“ man klopft sich auf die Schulter. Hier und da glänzen Augen, als man sich auf Runde zwei vorbereitet.