Portrait zur Kommunalwahl – Elias Sentob

„Guck mal hab ich doch gesagt, in Rheinberg scheint immer die Sonne!“ Die Windschutzscheibe ist noch nass vom Regen auf der Hinfahrt, als wir in Elias Wahlkreis ankommen. Sobald wir auf von der Autobahn auf eine Landstraße einbiegen, reißt der Himmel aber wie versprochen auf und vor mir liegen Korn und Mais Felder im Sonnenschein. Elias dreht sich also dreißig Sekunden nach meiner Ankunft das erste Mal ein bisschen stolz zu mir um und fragt: „Schön, oder? Hier würde man glatt Urlaub machen.“ Ich muss lachen. „Elias ich hab doch noch gar nichts gesehen!“

Als wir uns auf den Weg in die Innenstadt machen passieren wir wenige Häuser, zu denen er nicht zumindest eine kurze Anekdote erzählt. Während die Gebäude zu beiden Seiten der Straße dichter stehen redet er schneller, fährt langsamer und kommt trotzdem nicht ganz hinterher. „Der Laden gehört den Eltern von einer Freundin“ erklärt er, dreht den Kopf und zeigt mir ein Sonnenstudio auf der anderen Straßenseite, „und da haben zwei oder drei aus meiner Stufe mal gearbeitet. Da daneben ist Dönerladen eins von sechs in Rheinberg, ist aber nicht der Beste.“ ich versuche, hinterher zu kommen. Ein bisschen verwirrt schaue ich ihn von der Seite an, als er mir erklärt welchen Ladenbesitzer jetzt eine Bekannte heiratet. Er lacht, als er meinen Blick sieht. „Elias kennst du jeden in dieser Stadt?“ will ich wissen, er zuckt die Schultern. „Das sammelt sich halt so an. Ich wollte schon in der Schule immer möglichst viele Leute kennen lernen und nicht nur in einem Freundeskreis festhängen. Irgendwie habe ich`s geschafft überall ein bisschen dabei zu sein.“ „Nützlich für die Kommunalpolitik?“ Frage ich. „Möglich. Vor allem freue ich mich aber privat darüber. Ich habe zu vielen jetzt auch noch Kontakt, dann versinkt man weniger in der Partei Blase.“

„Also pass auf, grade sind wir in der Innenstadt, recht nah am Zentrum. Der Großteil von Rheinberg ist aber ein bisschen ländlicher, außerhalb.“ Tatsächlich finde ich mich wenige Minuten später auf einer Landstraße wieder und kann es mir nicht verkneifen, die Gretchenfrage des ländlichen Raums zu stellen. „Wie sieht es denn bei euch mit den Bussen aus?“ Elias grinst. „Ich könnte dir jetzt sagen wir haben zu wenig, sagt ja jeder auf dem Land. Stimmt auch, hier fährt quasi nichts. Aber das ist ja nur die halbe Wahrheit – eigentlich fährt hier auch noch zu viel. Die paar Busse die ein oder zweimal am Tag kommen nutzt kaum jemand. Ich bin früher auch öfter einfach Rad gefahren, zur Schule oder um Freunde zu besuchen. Der klassische ÖPNV rechnet sich für die Kommune vorne und hinten nicht, aber wir haben ja Alternativen.“ Er erzählt von privaten Bürgerbussen – ehrenamtliche Fahrer, die Ticketpreise nur zur Kostendeckung. Ich bin überrascht, überlege kurz, frage nach „Wird das von der Kommune koordiniert? Wer hat das denn angestoßen?“ „Ne das läuft wirklich vollständig privat. Da hatten einfach ein paar Leute Lust, was besser zu machen und haben was auf die Beine gestellt – ich finde das auch ziemlich beeindruckend. Das hilft wirklich vielen, vor allem älteren Leuten.“

Auf der Tour durch die umliegenden Dörfer redet Elias schnell und viel. Das Auto schiebt sich zwischen Häusern, Höfen und Wiesen hindurch zu denen er Geschichten erzählt; persönliche Erlebnisse, politische Diskussionen deren Gegenstand sie waren. „Elias?“ frage ich plötzlich und er hält inne. „Glaubst du eigentlich, dass Politik dein Verhältnis zu Rheinberg verändert hat?“ zum ersten Mal schweigt er. Wir fahren ein paar Sekunden lang still weiter bis er seine Antwort gefunden hat und sie formuliert. „Ja. Zum Positiven.“ Er macht eine kurze Pause und sucht nach Wörtern bevor er weiter spricht, ruhiger und ernster als in seinen Anekdoten über Restaurantbesitzer und Kindergartengründungen. „Ich glaube wenn man in der Politik mitreden will, muss man die Stadt in der man aufgewachsen ist ein bisschen aus neuen Perspektiven sehen. Ich überlege mir jetzt nicht nur was für mich relevant ist, sondern auch, was andere hier brauchen und verdienen.“ Ich nicke. Nach kurzem Überlegen fügt er hinzu: „Und ich glaube ich bin auch eher… dabei.“ Ich schaue ihn fragend an, er lacht. „Also weißt du ich meine man kriegt halt mehr mit von Debatten um Finanzierungen, Interessenskonflikte. Ich weiß mehr als ich vorher wusste, ich kann kommunale Entscheidungen besser nachvollziehen. Ich glaube ich hab die Stadt dadurch ein Stück weit…“ er macht eine allumfassende Handbewegung. „Quasi neu kennen gelernt. Ich wohne nicht mehr einfach hier sondern ich bin bei Diskussionen und Entscheidungen dabei.“ „Also würdest du sagen… eine Bereicherung?“ Er nickt. „Auf jeden Fall. Vorher habe ich ja auch viele Potentiale, die die Stadt hat gar nicht so gesehen.“

Das Wort „Potential“ fällt oft. Potential habe die Stadt eigentlich auch für Touristen, erzählt Elias während neben uns ein Deich vorbei zieht der mich tatsächlich an meine Sommerurlaube an der Ostsee zurück denken lassen. Die Ebene ist weitläufig, flach, bis der grasige Erdwall ein paar hundert Meter vor einem Waldstück einen Bogen schlägt, kann man ihm mit den Augen folgen. „Wir wollen die Deiche begehbar machen, sodass man darauf spazieren oder Rad fahren kann. Du musst zugeben dass das cool wär, guck mal wie schön das hier ist.“ Er bremst das Auto ab. Ich betrachte den Deich im Sonnenlicht, stelle mir dahinter das breite Flussbett des Rheins vor und stimme zu.

„Ich finde ja Rheinberg,“ stellt er fest als wir weiter fahren, „Rheinberg ist einfach die beste Stadt der Welt.“ Ich schaue ihn von der Seite an und kneife die Augen zusammen. „Du bist ja auch hier geboren.“ Versetze ich kritisch. „Liegt`s vielleicht daran?“ Er lacht kurz. „Nein das meine ich nicht, obwohl ich schon sagen würde, dass ich hier eine wirklich schöne Kindheit hatte. Guck mal, das dahinten war mein Kindergarten! Als ich damals gehen musste hab ich geweint, das weiß ich sogar noch.“ Das kleine Gebäude liegt eingefasst zwischen Wiesen und ein paar Bäumen, relativ abgelegen. „Aber trotzdem glaube ich ja nicht nur an diese Stadt, weil ich hier aufgewachsen bin. Sondern auch, weil ich sehe, dass die Region viel Potential hat – rein rational. Die Nähe zur Großstadt, die Landschaft, die Leute hier… Nach der Schule bleiben ja auch viele, das hast du nicht überall. Da kann man schon ein bisschen stolz drauf sein. Wenn du durch Rheinberg läufst, triffst du mit ein bisschen Glück noch meine halbe Stufe.“

Wir sitzen in einem Café mit Blick auf den Marktplatz. Bunte Fassaden und sorgfältig beschnittene Bäume verleihen der Szene ein freundliches, bürgerliches Gesicht. Ich drehe mich zu Elias um. „Warum machst du kommunal eigentlich so viel? Wenn Rheinberg die beste Stadt der Welt ist, läuft`s doch  scheinbar schon gut bei euch. Wozu der Aufwand?“ Er schüttelt den Kopf, fast ein bisschen ungeduldig, als würde ich seinen Punkt nicht verstehen. „Hier muss dringend was passieren. Die Stadt hat das so sehr verdient, die Chancen sind groß, aber eben zum Großteil ungenutzt. Wir haben keine Touristen hier. Die Radtour von der ich dir erzählt habe funktioniert ja nicht, die Deiche sind gesperrt. In der Innenstadt steht einiges leer und die Verwaltung ist manchmal echt eine Katastrophe.“ Er gibt Milch in seinen Kaffee während er hinzufügt „Das ist schade, die Bürger hier haben mehr verdient.“ Er klingt älter als die 18 Jahre die er ist. „Warum grade du?“ hake ich nach. Er lacht. „Das frage ich mich allerdings auch manchmal, eigentlich könnte das ja auch wer anders machen und ich lege mich in meinen Garten.“ Seine Finger trommeln auf der Tischkante,  „Aber wenn du eine Aufgabe siehst und glaubst, dass du sie lösen kannst – dass du sie vielleicht sogar ein bisschen besser lösen kannst als andere, dann würdest du dich doch auch nicht raushalten und warten, ob nicht jemand anderes das übernimmt. Ist ja eine Frage von Verantwortung – und außerdem ist nur im Garten liegen  auch nicht meins. Ich bin gerne aktiv hier, ich glaube mit den JuLis bringen wir in die FDP viel Energie, viel Lust, wirklich zu arbeiten.“ Wenn er von den anstehenden Wahlkampfaktionen, von seinem Kampagnenplan spricht, hört man das heraus. Elias erzählt wortreich, bildlich. Er redet noch immer schnell, fast als wolle er sicherstellen, dass kein Detail aus Zeitgründen verloren geht. Manchmal, wenn ich über seinen Enthusiasmus lache, zieht er die Augenbrauen kritisch zusammen. Ich frage nach dem Verhältnis zwischen JuLis und FDP in Rheinberg. Elias wiegt seinen Kopf, erklärt, das wäre im Großen und Ganzen gut. Manchmal würde aber eine Mentalität dazwischen kommen, die auch in JuLi Kreisen nicht unbekannt ist. „Das haben wir noch nie so gemacht und es hat doch trotzdem irgendwie geklappt.” Das sei nicht nur für Leistung und Engagement in einem Verband Gift sondern meistens auch schlicht falsch. Natürlich konnte man früher auch ohne Online-Wahlkampf, Instagram und Facebook Wahlen gewinnen. Heute sieht es eben anders aus. Ich poste ja nicht so viel auf Instagram weil ich gerne Influencer werden möchte, sondern weil man über die Plattform Menschen am politischen Geschehen beteiligen und erreichen kann. Zum Beispiel, um sie davon zu überzeugen, dass Rheinberg einen Stadtmanager verdient hat. Eine digitale Verwaltung braucht. Leerstände in der Innenstadt beenden muss.“ Das wüssten aber die meisten FDPler auch, beeilt Elias sich klarzustellen. Und allgemein laufe die Zusammenarbeit auch sehr gut, auf der Liste finden sich immerhin sieben JuLis. „Von vielen FDPlern profitieren wir als JuLis auch wirklich.“ ergänzt Elias seinen Gedankengang. „Hast du `Auf den Schultern von Riesen` gelesen? Umberto Eco beschreibt eigentlich ganz gut, dass viel von den fortschrittlichen Gedanken und neuen Ideen die wir haben nur auf Basis einer Vorarbeit der Generation vor uns möglich ist. Auch wenn wir die oft belächeln und unsere Ideen oder Arbeitsweisen für weit überlegen halten. Ich finde, das vergisst man oft.“

Als wir Rheinberg schließlich verlassen umfängt uns auf der Autobahn wieder ein leichter Nieselregen. Elias studiert in Düsseldorf, die Strecke nach Rheinberg fährt er etwa zwei bis drei Mal die Woche. Ob das nicht umständlich ist, ob da nicht ziemlich viel Zeit verloren geht will ich wissen. Elias zuckt die Schultern. „Geht. Kommunalpolitik ist ja nicht einfach ein Hobby was ich Dienstagsabends mal mache wenn ich Zeit und Lust habe. Wir wollen ja wirklich was erreichen, ich wusste von Anfang an worauf ich mich hier einlasse. Und ich glaube die Stadt ist das wert.“