Alles mit rechten Dingen? Vom Vertrauen in den Rechtsstaat

Herrschaft von Gesetzen, nicht von Menschen: Das ist die kürzeste Formel, auf die sich der Rechtsstaat bringen lässt. Diese alte, urliberale Forderung erklärt sich aus der Einsicht, dass Menschen fehlbar sind, dass Macht sie korrumpiert und deshalb der Staat nicht zum Instrument der Willkür Einzelner oder einer Clique werden darf. Unser politisches System lebt daher vom Vertrauen in die Objektivität und Willkürfreiheit allen Staatshandelns.

 

Dieses Vertrauen kann verspielt werden. Von einem mit Parteisoldaten besetzten Verfassungsgericht erwartet niemand ein gerechtes Urteil, von korrupten Abgeordneten niemand einen fairen Interessensausgleich in neuen Gesetzen, und von einem populistischen Staatschef niemand ein rationales Regierungshandeln. Aus der Kritik an einzelnen Missständen wird dann schnell eine Legitimationskrise des gesamten freiheitlich-demokratischen Ordnung, welche von Extremisten jeder Couleur benutzt wird, um den Systemsturz zu propagieren. Unerlässlich ist es, bereits anfängliche Erosionserscheinungen zu erkennen und zu bekämpfen. Wehret den Anfängen!

 

Struktureller Schutz vor Machmissbrauch

 

Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely: Lord Actons Worte sind aktueller denn je. Das Vertrauen der Bürger gilt nicht einem starken Herrscher, sondern geteilten Gewalten, die sich mit gesundem Misstrauen gegenseitig kontrollieren und mäßigen sollen. Weisungsunabhängige, auf Lebenszeit (bzw. der Pensionsgrenze) ernannte Richter, ein Berufsbeamtentum, das nicht einfach nach Belieben ausgetauscht werden kann, unabhängige Kontrollinstanzen für besonders sensible Teile der Staatstätigkeit wie Militär, Polizei und Geheimdienste gehören zum rechtsstaatlichen Pflichtprogramm. Als Liberale gilt es diese zu verteidigen. Aber nicht genug: Eine Stärkung der richterlichen Selbstverwaltung, auch bei der Neubesetzung von Richterstellen, die Einrichtung von internen Revisionsabteilungen in allen Bereichen der Staatsverwaltung sowie ein sichererer Rechtsrahmen für Whistleblower sind wichtige Ziele, die es anzugehen gilt.

 

Interessenskonflikte

 

Von einem Interessenskonflikt spricht man, wenn eine Person verschiedene soziale Rollen hat, die mit sich widersprechenden Interessen, Erwartungen und Perspektiven verbunden sind. Viele Interessenskonflikte liegen auf der Hand: Niemand kann Richter in eigener Sache sein, über die Anliegen von Familie und Freunden entscheiden oder seinen Arbeitgeber oder Mentor kontrollieren. Das festzuhalten, hat nichts mit einem Vorwurf charakterlicher Mängel zu tun: Emotionale Nähe, persönlicher Bezug, berufliche oder finanzielle Abhängigkeit sind Gründe, die jeden Menschen in seiner neutralen Urteilskraft schwächen. Diese Voreingenommenheit zeigt sich auch und besonders unbewusst; selbst dann, wenn wir aktiv versuchen uns ihr zu entziehen. Deshalb geht es darum, Interessenskonflikte zu vermeiden, bevor sie zu einer konkreten Fehlentscheidung führen können. Vertrauen genießt nur, wer keinen Anlass gibt, an seiner Objektivität zu zweifeln. Es wäre im Rechtsstaat unzumutbar und meist auch unmöglich, eine Befangenheit im Einzelfall nachzuweisen – ausreichend ist der böse Anschein, die „Besorgnis der Befangenheit.“

 

 

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

 

Vertrauen braucht einen institutionellen Rahmen. Wer verhindern will, dass wenige schwarze Schafe einem Generalverdacht gegen eine ganze Gruppe Vorschub leisten, der muss sicherstellen, dass diese Übeltäter auch ermittelt und verurteilt werden. Die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte in NRW war deshalb der größte Bärendienst, den man der Polizei erweisen konnte. Noch ärger: Wenn ein Kölner Polizist einer Straftat beschuldigt wird, ermittelt aktuell die Kollegin aus dem benachbarten Bonn. Als ob die Psychologie „Schulterschlusseffekte“ unter Kollegen nicht schon lange nachgewiesen hätte! Die Antwort muss deshalb eine unabhängige Ermittlungsbehörde, die nicht dem Innenministerium unterstellt und die mit besonders ausgebildeten Ermittlern besetzt ist, sein.

 

Lobbyismus

 

Aufgabe der Politik ist der faire Ausgleich von Interessen, durch Anhörung der Beteiligten, durch Abwägung ihrer Argumente, durch das Betrachten von unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema. Erhalten einzelne Akteure übermäßig viel Einfluss auf die Gesetzgebung, untergräbt das die Legitimität des Parlamentarismus. Deswegen muss transparent gemacht werden, wenn einzelne Gruppen überproportional viel Zugang erhalten – es ist begrüßenswert, dass die Freien Demokraten für ein Lobbyregister streiten. Und es braucht klarere Regeln, welche die oftmals zu beobachtende Verquickung von Politik und Wirtschaft ordnen. Regelmäßig werden ausscheidenden Politikern attraktive Posten in staatsnahen Einrichtungen oder Unternehmen verschafft (die berüchtigten „Versorgungswerke“) oder sie bekommen in der Wirtschaft lukrative Beraterverträge oder Aufsichtsratsposten, die nicht zwangsläufig, aber häufig dubios erscheinen. Staaten wie Russland oder die sog. Volksrepublik China versuchen zudem systematisch, durch Lobbyisten destabilisierend auf die westliche Staatengemeinschaft einzuwirken und sich im wahrsten Sinne des Wortes Einfluss zu kaufen. Altbundeskanzler Gerhard Schröder ist das Paradebeispiel. Für all diese Fälle bedarf es klarer Karenzzeitregelungen und Transparenzgebote.

 

 

Korruption

 

Korruption beginnt für viele erst dann, wenn ein Koffer voll Geld im Spiel ist. Gerade in der Politik herrscht oft eine Betriebsblindheit vor, die Zweifel über die Korrektheit des eigenen Verhaltens gar nicht erst aufkommen lässt – und die auch bei anderen lieber ein Auge zudrücken lässt, bevor man selbst an diesen Maßstäben gemessen und womöglich verurteilt wird. Wo immer aus sachfremden Gründen sich oder einem Dritten Vorteile verschafft werden, liegt korruptes Verhalten vor. Der Fall Amthor hat jüngst wieder gezeigt, dass das Vertrauen auf – gerade von Konservativen immer laut geforderten – Anstand und Schamgefühl nicht ausreichen, um solche Machenschaften – gerne liebevoll als Klüngel verklärt – einzudämmen. Es braucht harte rechtliche Grenzen. Das deutsche Parteienfinanzierungsrecht ist seit langem in der Kritik, weil es internationalen Forderungen nicht gerecht wird. Auch der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung ist bewusst eng gehalten. Hier muss dringend nachgesteuert werden.

 

 

Integrität

 

Formale Regeln gegen Machtmissbrauch, Korruption und Interessenskonflikte sind ein notwendiges, aber kein hinreichendes Mittel, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Objektivität der Amtsträger sicherzustellen. Unbestechlichkeit ist eine Charakterfrage. Korruptes Verhalten schleicht sich allzu schnell ein – „eine Hand wäscht die andere“ macht zunächst vieles leichter, führt aber langfristig zu einem Geflecht von Abhängigkeiten, einzulösenden Gefallen und Rücksichtnahmepflichten. Fehlt dann noch eine berufliche Perspektive außerhalb von Staat und Partei, sind Politiker leicht zu kontrollieren und bevorzugtes Ziel für Einflussnahme. Interessenskonflikte werden dann schnell weggelächelt oder gar noch als hilfreiche Synergieeffekte vermarktet, die kurze Wege ermöglichen. Es droht eine Kultur im Verfallsprozess, in denen korruptes Verhalten als neue Normalität empfunden wird. Auf diesen Abstumpfungsprozess hofft Donald Trump, der seit dem ersten Tag im Weißen Haus daran arbeitet, die Grenzen des Akzeptablen und Sagbaren zu verschieben.

 

Wenn wir das Vertrauen in unser politisches System erneuern wollen, dann müssen wir mutig und entschlossen für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit einstehen. Integrität muss als Wählbarkeitsvoraussetzung im Bewusstsein verankert, Abhängigkeiten und Interessenskonflikte offen und kritisch mitbedacht und angesprochen, Ämterhäufung in Staat und Partei eingeschränkt werden. Denn Vertrauen ist das Lebenselixier der Demokratie.

 

Marc Bauer (25) ist Jurist und Mitglied des Bundesvorstandes. Ihr erreicht ihn unter