Mobilität auf dem Land – Der blinde Fleck der Verkehrspolitik?

Wer die aktuelle verkehrspolitische Diskussion betrachtet, der liest viel über E-Scooter, über autofreie Innenstädte und Dieselfahrverbote, über „kostenlosen“ ÖPNV. Dominant ist eine großstädtische Perspektive. Der ländliche Raum wird meist vergessen, dabei ist der Pendelverkehr für einen erheblichen Teil des Verkehrsaufkommens verantwortlich. Pendler müssen erhebliche Zeit im Stau verbringen, was politisch nicht ignoriert werden darf. Schließlich darf Verkehrspolitik nicht isoliert betrachtet werden: Je unattraktiver das Mobilitätsangebot im ländlichen Raum, desto mehr verstärkt sich die Abwanderung in die Großstädte – mit negativen Folgen für Stadt und Land. Es wird daher Zeit, Verkehrspolitik auch aus ländlicher Perspektive zu denken.

Was auf dem Land nicht funktioniert

Wenn kein Bus fährt, nützt auch ein fahrscheinloser Nahverkehr nicht. Was banal klingt, wird im politischen Diskurs gerne vergessen. Der Preis ist nur dann das entscheidende Argument gegen den ÖPNV, wenn dieser überhaupt ein verfügbares Angebot bietet. Aus ländlicher Perspektive dagegen ist das Angebot der limitierende Faktor, nicht der Preis. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden – auch wenn manche Parteien das gerne anders suggerieren. Im Ausbau des ÖPNV ist er deutlich besser angelegt als in der Preissenkung. Das ist nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern beugt auch einer wachsenden Ungleichbehandlung vor: Zwischen dem, der in den Genuss eines immer besseren und immer günstigeren ÖPNV kommt, und dem, der gar keinen Zugang hat.

Die bessere Anbindung des ländlichen Raums darf aber nicht so gedacht werden, dass Bahnlinien einfach analog zum innerstädtischen Netz ausgebaut werden, ohne Rücksicht auf die dünnere Besiedelung. Das kostete nicht nur enorme Summen, es gäbe immer auch zufällige (oder infolge politischer Beeinflussung nicht so zufällige) Orte, die an den Verkehrsadern liegen, während andere leer ausgehen und sich relativ noch abgehängter führen. Die Struktur des ländlichen Raums lädt vielmehr dazu ein, konsequenter auf eine Individualisierung von Verkehrsleistungen zu setzen.

Verkehr doch, wie du willst

Vorzugswürdig sind insbesondere Busse – je nach Einsatzort und -zeit auch Kleinbusse oder Großraumtaxen – mit flexiblen Routen, welche sich innerhalb gewisser Parameter an die genauen Ziele der Kunden anpassen. Insbesondere in Zeiten geringer Gesamtauslastung sind ÖPNV-Dienstleistungen nach Art eines Sammeltaxis sinnvoll. Sie maximieren die Auslastung zugunsten ökonomischer und ökologischer Effizienz und beseitigen gerade nachts Hürden für junge Menschen, für welche die Rückfahrt zuweilen ein Grund ist, lieber direkt zuhause zu bleiben – oder langfristig eben wegzuziehen. Wer die Dörfer retten will, muss heute investieren.

Die Digitalisierung ermöglicht auch eine höhere Effizienz. Auslastung, Bedarf und Kundenwünsche im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sind umfassend zu evaluieren und für passgenaue, stärker flexibilisierte Angebote zu nutzen. Auswahl der Streckenverläufe neuer Strecken, Auslassen von Haltestellen zur Beschleunigung oder zusätzliches Bedienen, Frequenz, Wartezeiten für Anschlussfahrten, all diese Fragen können und sollten künftig auf einer soliden Datengrundlage entschieden werden, nicht durch bürokratische Willkür oder die im Verkehrsbereich typische Klientelpolitik. Statt weniger Leuchtturmprojekte kann so auch so in der Breite Mobilität verbessert werden.

Ganzheitliche Verkehrsplanung

Verkehrsplanung darf nicht mit einem Tunnelblick geschehen. Maßnahmen bezüglich einzelner
Verkehrsmittel, Verkehrspolitik einzelner Gemeinden, Planungen örtlichen und überörtlichen Zuschnitts müssen im Geiste gegenseitiger Abstimmung und Rücksichtnahme erfolgen. Verkehrs- und damit zusammenhängende Fragen der Bau-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik müssen zusammen gedacht werden. Verkehrsplanung erfordert Weitblick und das Mitbedenken vielfältiger Gesichtspunkte. Infolge des oft zyklischen Arbeitsanfalls in den Planungsbehörden sind verstärkt Kooperationen zwischen den Gemeinden einzugehen. Informationsaustausch über Gemeindegrenzen hinweg und die Entwicklung von best-practice-Modellen sollen selbstverständlich werden.

Das Land muss seine Verantwortung für die überregionale Verkehrsplanung entschlossen wahrnehmen. Ein forciertes Brückenbauprogramm sollte Nadelöhre für den Verkehrsfluss beseitigen und die Verbindung von Regionen verbessern. Zwischen Köln und Neuss, Bonn und Neuwied oder auch im Kreis Wesel besteht hier dringender Handlungsbedarf. Das Land muss auch etwa durch die Bedingungen von Mittelvergaben darauf hinwirken, dass es endlich zu Fusionen der Verkehrsverbünde kommt – ein einheitliches, übersichtliches und digital nutzbares Ticketsystem muss schnell umgesetzt werden.

Gestärkt werden sollte auch die Einbindung privater Akteure in ein ganzheitliches Mobilitätskonzept. Der Staat sollte keinen Alleinbedienungsanspruch haben, sondern sowohl die Möglichkeiten autonomen Fahrens, von Carsharing und eines modernen liberalisierten Taxiwesens auf dem Schirm haben. Auch da, wo der Staat Mobilität gewährleistet, muss er nicht selbst als Dienstleister tätig werden, sondern kann sich z.B. privater Busunternehmen oder Taxen bedienen.

Warum der ländliche Raum gestärkt werden sollte

Über den ländlichen Raum wird oft in einer Weise geredet, als sei er eigentlich zu vernachlässigen, und werde nur aus urbaner Großzügigkeit alimentiert. In Wahrheit ist eine Balance von Stadt und Land von großer Wichtigkeit. Aktuell erleben wir eine forcierte Abwanderung. Ablesbar ist dies unter anderem an den angespannten Wohnungsmärkten in den Großstädten, während in ländlichen Regionen großer Wohnungsleerstand herrscht und ganze Dörfer eingehen. Für das Land beginnt dann ein Teufelskreis. Zum einen führt der Wegzug von Einwohnern zu einer sinkenden Auslastung öffentlicher Einrichtungen, welche dann wegen der Fixkosten immer teurer werden, was letztlich auf die verbliebenen Einwohner zurückfällt und die Attraktivität der Stadt senkt; irgendwann ist dann die Schmerzgrenze erreicht, wo die Einrichtung ganz schließt, das senkt die Attraktivität nochmal enorm. Geschäfte schließen, wenn es keine Kunden mehr gibt, Betriebe, wenn es keine Arbeitnehmer mehr gibt; am Ende verbleiben dann oft nur Menschen im oder nahe dem Rentneralter. Das Dorf stirbt dann langsam, aber sicher und bis dahin kostet es viel Geld und bietet seinen Bewohnern geringe Lebensqualität.

Umgekehrt führt der Wohnungsmangel in den großen Städten nicht nur zu hohen Preisen – die als solche ja gerade eine wichtige Anzeigefunktion in einem funktionierenden Markt haben –, sondern auch zu sinkender Lebensqualität. Mehr Menschen auf demselben Raum bedeutet Nachverdichtung, Wegfall von Grünflächen und anderen Naherholungsgebieten, überfüllte Verkehrswege und Plätze und schließlich auch einen verschärften Verteilungskampf zwischen unterschiedlichen Nutzungsarten von Gebäuden und nicht zuletzt unterschiedlichen Verkehrsmitteln. Deshalb sind staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt volkswirtschaftlich und ökologisch fatal, da sie die Landflucht noch verstärken.

Es liegt in unsrer Hand!

Den ländlichen Raum NRWs zukunftsfit zu machen, ist eine zentrale Aufgabe. Sie erfordert Weitblick und Ausdauer. Es ist an uns, dass die 2020 neu zu wählenden Räte und Kreistage diese Thematik auf die Agenda setzen. Das funktioniert am sichersten mit vielen Jungen Liberalen in den kommunalen Gremien. Ein Grund mehr, im nächsten Jahr für ein starkes Ergebnis für die Freien Demokraten zu kämpfen!

Marc Bauer (24) ist Jurist und Mitglied des Bundesvorstandes. Ihr erreicht ihn unter