Dicke Bretter gegen den Verkehrsinfarkt

In meinem Berufsleben habe ich unter anderem die ehrenvolle Aufgabe, den Info-Account eines großen Baukonzerns zu betreuen. Neben Angeboten für neue Website-Programmierungen (hauptsächlich aus dem indischen Raum) und Initiativbewerbungen, die ihren Weg nicht über die regulären Wege gefunden haben, lassen sich auch immer wieder empörte Bürgerbeschwerden finden. Besonders beliebt ist in letzter Zeit die Forderungen nach dem Einstellen jeglicher Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. „Wer jetzt noch Beförderungswege für Autos bauen würde, laufe einer veralteten Beförderungsform hinterher. Die Umwelt leidet unter jedem Bauprojekt.“

So weit, so durchdacht. Wer sich jedoch die aktuellen Debatten der Verkehrspolitik anschaut, wird feststellen, dass diese sich in Kleinstdiskussionen verirren, welche dafür aber mit umso größerer Emotionalität ausgetragen werden. Wer glaubt mit einem Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen einen großen Beitrag gegen den Klimawandel zu leisten, irrt gewaltig. Jeden Morgen ärgere ich mich über Stau. Das gesamte Ruhrgebiet ist jeden Morgen ein großer Stauknoten. In den Regionen Düsseldorf und Köln, sowie auch im Umkreis Berlin, München, Frankfurt und Co. ist es kaum besser. Warum diskutieren wir also, ob ich fünf Mal im Monat 160 km/h statt 120 km/h fahre, anstatt darüber zu debattieren, was passieren muss, damit ich statt 10 km/h täglich wenigstens 50 km/h fahren kann? Warum führt man Umweltspuren ein, die den innerstädtischen Verkehr weiter erlahmen lassen? Warum müssen Dieselfahrzeuge enorme Umwege in Städten wie Hamburg zurücklegen, um einer Verbotszone auszuweichen? Warum traut sich kaum jemand an die wirklich dicken Bretter, sondern verirrt sich in schaumstoffartigen Debatten? In der Folge also konkrete Punkte gegen den oft zitierten Verkehrsinfarkt:

  1. Ein modernes Bauvergabeverfahren. Wie oft ärgert man sich über „Pannen-Projekte“, wie den Flughafen Berlin als Extrembeispiel, die Elbphilharmonie oder zahlreiche kleiner Projekte auch in Eurer Kommune? Ein elementarer Grund ist das aktuelle Verfahren, mit welchem Bauprojekte vergeben werden. Der Auftraggeber, also die Stadt, das Land oder der Bund haben nahezu komplette Wahlfreiheit bei den Kriterien für den Zuschlag an ein Baukonsortium. Aktuell wird daher zu über 70% der Preis als, zugegebenermaßen, objektivstes Kriterium verwendet. Der Rest wird zumeist durch „weiche“ Kriterien, wie den bisherigen Referenzen der Unternehmen bestimmt. Wer noch nie eine Brücke gebaut hat, wird es also vermutlich schwer haben, ein großes Brückenprojekt realisieren zu dürfen. Die Folge: Preisdumping. In den Angeboten wird schöngerechnet, wo es nur geht, um den Zuschlag zu erhalten. Nach erfolgtem Zuschlag hagelt es dann oft Nachträge und damit verbundene Rechtsstreitigkeiten. Für beste Infrastruktur muss das Prinzip der Partnerschaftlichkeit zwischen Unternehmen und Staat wieder in den Fokus gerückt werden, anstatt gegeneinander zu arbeiten. Mein Vorschlag: Innerhalb eines Slotsystems kann der Auftraggeber noch immer frei wählen, nach welchen Kriterien er projektbezogen vergeben möchte. So könnte der Preis nach meinen Vorstellungen maximal 50% einnehmen, während der neue Faktor „Nachhaltigkeit und Innovation“ mindestens 10% ausmachen soll. Werfen wir bei jeder Projektvergabe den Innovationsmotor der Unternehmen an und schützen so von Projekt zu Projekt das Klima und die Biodiversität. So können Schafe Rasenmäher-Maschinen ersetzen, Solar-Panel in Straßen integriert werden oder andere Ideen eingebaut werden, die in dem aktuellen Verfahren eher als Nachteil zählen würden, weil sie oft kurzfristig teurer sind.
  2. Bauen, bauen, bauen. Auch wenn der Slogan in Bezug auf die Maßnahmenvorschläge der Freien Demokraten in der Baupolitik schon fast nervt. Angesichts mancher Schlaglochschluchten und Staukaravanen müssen mehr Aufträge umgesetzt werden. Ein schnelleres Baugenehmigungsverfahren, effektivere Planfeststellungsverfahren und höhere Hürden für die politische Verhinderung von bereits geplanten Projekten legen das Fundament für einen besseren Ausbau. Auch sollte man bei Autobahnausbauten oder ähnlichen Projekten lieber die langfristige Perspektive bemühen. Die Erweiterung um eine Spur kann sich über Jahrzehnte ziehen. Umso ärgerlicher, wenn dies nicht einmal ausreichend ist und danach erneut erweitert werden muss. Auch wenn manche „Verkehrs-„Experten““ sich sicher sind, dass das Auto keine Zukunft hat, so wird es gute Straßen geben müssen, egal ob sie eines Tages manuell oder autonom gefahren werden.
  3. An einem Strang ziehen. Klar, Fußball ist und bleibt Volkssport in unserem Land. Nur knapp danach dürfte aber ein stetiges Meckern und Misstrauen gegenüber Neuem stehen. Nahezu jedes neue Infrastrukturvorhaben wird von Verbänden beklagt, verschoben und z.T. sogar verhindert. Mein Lieblingsbeispiel spielt zu Beginn des Jahrtausends im Raum Aachen. Ein neues Gewerbegebiet soll entstehen. Kurz nach erfolgter Planfeststellung hingegen die Enttäuschung: Bevor die Bewerbungsphase losgeht wird geklagt. Löcher des Feldhamsters seien auf dem Gelände gefunden worden. Als sich nach der Beendigung eines mehrjährigen Klageverfahrens herausstellte, dass mutwillig Löcher mit einer Leiter in den Boden gestampft wurden, waren jegliche Investoren bereits abgesprungen. Mittlere Dreistellige Anzahlen an Arbeitsplätze konnten nicht entstehen. Solange wir die Verbesserung der Infrastruktur als umweltschädlich, teuer und unerwünscht betrachten und es Verbände gibt, die ihre Existenz durch stetige Klagen begründen, müssen wir mit einem breiten Stück Holz zwischen den Speichen der deutschen Wirtschaft leben. Indem wir das Verbandsklagerecht abschaffen, in Form von Schwerpunktanwaltschaften jedoch vor Ort (!) betroffenen Bürgern die Chance ermöglichen, auf eigenes Risiko ein Verfahren zu eröffnen, schaffen wir den Spagat aus einem vernünftigem Rechtsrahmen und deutlichen Verbesserungen für die Verkehrslandschaft. Zudem können betroffene Bürger frühzeitiger in Dialoge eingebunden werden. Dieses Prinzip ließe sich auch auf die kommunale Stadtentwicklung anwenden.
  4. Digital first. Analoge Verkehrsführungen, Straßenschilder oder Ampelschaltungen second. Auch innerorts lässt sich so einiges bewirken, um Staubildungen besser umgehen zu können. In den Niederlanden genieße ich in weiten Teilen bereits Ampeln, die bei schwacher Verkehrslage sofort auf grün springen, sobald ich mich dieser nähere. So verursache ich durch weniger Anfahrprozesse weniger CO² und es kommt zu weniger Staus. Ampeln, die miteinander verbunden sind, können frühzeitig auf Verkehrsänderungen reagieren. Bei digitalen Verkehrsschildern ist es sogar denkbar, dass situationsbezogen Vorfahrtregelungen wechseln können, wenn es dem flüssigen Verkehr dient. Auch Geschwindigkeiten können flexibler angepasst werden. Jedes analoge Verkehrsschild, welches heutzutage gerade in Großstädten noch errichtet wird, ist aus meiner Sicht eine Fehlinvestition.
  5. Über eigene Schatten springen. Gerade in der Kommunalpolitik sind manche Verkehrsthemen ungern gesehen. Bestes Beispiel: Radwege. Ich finde die pauschale Ablehnung diesem Thema gegenüber aus liberaler Sicht für aus der Zeit gefallen. Es ist nicht besonders liberal, wenn die Stadt vorgibt, dass in Zukunft jeweils ein Viertel der Mobilität zu Fuß, mit dem Rad, mit dem ÖPNV und mit dem Auto absolviert werden soll. Die Förderung des Fortbewegungsmittels Fahrrad muss aber nicht gleichgesetzt werden mit Planwirtschaft oder dem Kommunismus. Ganz im Gegenteil: Es steht uns gut zu Gesicht, gerade in Großstädten innovative Fahrrad(schnell-)wege zu fördern, die z.B. oberirdisch auf Brücken verlaufen können oder entlang von ÖPNV Wegen platziert werden können. Die Förderung des Radverkehrs ist nämlich nicht die Schaffung von Umweltspuren und der gleichzeitigen Benachteiligung von Autofahrern. Es ist auch nicht besonders angenehm, wenn ein erhöhtes Unfallpotential entsteht, weil Rad und Auto sich gefährlich nah kommen müssen. Attraktiv sind moderne und neue Radwege, die einen entspannt, cool und nachhaltig an jedem Stau vorbeiziehen lassen. Das Geld, was mit Klageverzögerungen jährlich verpulvert wird, könnte den Radverkehr in Deutschland aufblühen lassen.

Ihr seht: Genug Ideen gibt es, die man angehen könnte, um Ökologie und Ökonomie in bester Infrastruktur zu vereinen. Tausende weitere Ideen sind noch gar nicht gedacht. Eines steht aber über allem: Der Wirtschafts-mogul, der Handwerker, die Familienmutter, die Öko-bewusste Philosophie-Studentin oder die Rentnerin. Sie alle profitieren von besserer Infrastruktur und sie alle würden von den wirklich wichtigen Debatten profitieren, die leider viel zu oft in einem Hysterie-Wust untergehen.

Tim Schütz (22), arbeitet im Bereich Kommunikation und Politik für einen großen Baukonzern und studiert parallel Kommunikation und Marketing im Master. Zudem ist er Mitglied des Landesvorstandes und Bundesarbeitskreisleiter für die Ressorts Verkehr, Umwelt und Bau bei den JuLis. Ihr erreicht ihn unter: