Smart Hospital

Auf dem Weg zum Smart Hospital: Vernetzen first, versorgen second?
Montagmorgen, 8 Uhr im Hörsaal der Chirurgie.
„Die Anamnese ist das A und O einer erfolgreichen Erstversorgung! Merken Sie sich das,
das gilt in jedem Fach, sogar bei den Dermatologen!“, sagt der Dozent wie von der Kanzel
gesprochen. Was aber, wenn wir das Unfallereignis gar nicht kennen, weil der demente
Patient längst vergessen hat, warum er gerade Schmerzen erleidet? Was, wenn sich keine
Angehörigen oder Pflegekräfte um ihn oder sie kümmern und nur die Nachbarin einen Knall
in der Wohnung gegenüber gehört hat?
Derartige Lücken in der Anamnese behindern eine rasche und präzise auf den Patienten
abgestimmte Erstversorgung immens; Fragen nach Allergien wie zum Beispiel auf Narkotika
oder andere Medikamente schließen sich diesen gar noch an und vergrößern das Risiko für
den Patienten unnötigerweise! Wir hätten längst zahlreiche Möglichkeiten, um das zu
verändern. Gerade die Medizin birgt seit jeher ein riesiges Innovationspotenzial und es wird
allerhöchste Zeit, auch in diesem Bereich die Digitalisierung Fuß fassen zu lassen.
Denken wir uns hier also anhand eines Fallbeispiels, wie ein solcher „E-Health-Kreislauf“
aussehen müsste: Herr P., 76 Jahre alt, lebt allein und wird immer unsicherer bei alltäglichen
Aufgaben. Beim Gang ins Bad stolpert er über eine Stufe, bricht sich beim Sturz den
Fersensporn und prellt sich Brust und Schläfe – er wird bewusstlos. Durch die Erschütterung
aktiviert, meldet sich sein Hausnotruf-Armband und nachdem Herr P. nicht reagiert, wählt es
automatisch den Notruf. Über ein TAN-System können die Sanitäter die Haustür öffnen und
fahren Herrn P. in die nächste Klinik. Bereits auf dem Weg im Rettungswagen sendet die
Sanitäterin alle fallbezogenen Daten, wie zum Beispiel Vitalparameter und festgestellte
Verletzungen, an die Notaufnahme, die dann über die Krankenkassenkarte von Herrn P.
Zugriff auf seine Patienten-Cloud hat, in welche dieser neue Fall sofort hochgeladen wird.
Diese Patienten-Cloud, die seine Hausarztpraxis zuvor anlegte, speichert wichtige
Informationen, wie beispielsweise Herrn P.’s Leiden an maligner Hyperpyrexie. Dabei
handelt es sich um einen mutierten Rezeptor, der unter Einwirkung von Narkosemitteln mit
einer Überreaktion antwortet. Dadurch kann es letztendlich zu einer starken
Temperaturerhöhung bis hin zum Kreislaufversagen kommen. Der Dozent vom Beginn hat
also Recht: Eine gute Anamnese kann Leben retten!
All solche „Red Flags“ zeigt die Cloud dem Ärzte-Team hier aber gleich an und sie können
die personalisierte Therapie beginnen. Dabei verliert das Team auch nicht die Zeit bis zum
Arbeitsbeginn der Hausärztin nach dem Wochenende. Sie folgern gleich aus den Cloud-
Dateien, dass sie Herrn P. nicht im MRT untersuchen dürfen, da er einen älteren
Herzschrittmacher trägt.
Die Klinik selbst greift dann weiter auf die Cloud zu. Dadurch kann nicht nur der
interdisziplinäre Informationsaustausch optimiert werden, sondern auch die Physiotherapie
nach Entlassung weiß, wie sie ihre Übungen für Herrn P. einzusetzen hat.
Dieser beispielhafte Fall soll nur eines zeigen: Das nicht genutzte Potenzial einer
ganzheitlichen und interdisziplinär abgestimmten Therapie ist schier unendlich!
Das Uniklinikum Essen nimmt hier mit seinem Ziel, ein „Smart Hospital“ zu werden, eine
Vorreiterrolle ein. Das Klinikum erkennt die gesteigerte Belastung für Ärzte und Pflegekräfte
durch administrative Prozesse und sich wiederholende Aufgaben und sieht hier eine große
Chance, die Digitalisierung zur Entlastung zu nutzen. Der eigentliche Fokus liegt dabei
natürlich auf der Patientenversorgung und schon jetzt vergleichen Computersysteme ganze
Therapiekonzepte auf ihre Vor- und Nachteile sowie Neben- und Wechselwirkungen, sodass
sie am Ende eine individuell abgestimmte Therapie vorschlagen. Außerdem weist das

Krankenhaus eine App für intensivere Patientenbegleitung sowie ein digitales Callcenter,
eine Abteilung für künstliche Intelligenz und eine weitere für 3D-Druck auf.
Die Richtung stimmt also und die Zahlen bestätigen dies: Laut der „Sherlock in Health“-
Studie von PcW könnte der breite Einsatz von KI durch die Früherkennung und bessere
Therapie von Millionen von Menschen die Gesundheits- und Folgekosten in Europa in den
nächsten fünf Jahren um eine dreistellige Milliardensumme senken!
Die Basis dafür ist aber die digitale Patientenakte, wie auch der Vorstand der Klinik es
betont. Bis 2019 soll diese auch vollständig eingeführt sein. Durch die daraus entstehenden
neuen Anforderungen an die Belegschaft werden Fortbildungen nötig – genau das,
lebenslanges Lernen, bringt der sich digitalisierende Arbeitsmarkt aber mit sich.
Das Beispiel aus Essen zeigt auf, wie man dies im Sinne der bestmöglichen Versorgung
weiter angehen muss! Insbesondere die Universitätskliniken sollten für diesen
Transformationsprozess Schrittmacher sein. Diese Bestrebungen sollte daher auch die
Landesregierung unter anderem im Rahmen der Krankenhausplanung honorieren und
unterstützen.
Hebt man die Idee nun abseits der Klinik in den hausärztlichen Bereich, zeigt sich auch hier
ein beeindruckender Handlungsspielraum: Sobald man eine flächendeckende Nutzung der
Patienten-Cloud etabliert hat, würde dies vor allem die konsiliarische Korrespondenz
zwischen Haus- und Fachärzten um ein Vielfaches effizienter gestalten. Momentan ist es
üblich, dass ein Patient seinen Arztbrief vom Facharzt selbst mitbringen muss und im besten
Fall noch ein zweiter per Post geschickt wird. Das erinnert an vorsintflutliche Zeiten.
Natürlich ist der Schutz sensibler Patientendaten einer der wichtigsten Punkte für die
Schaffung eines solchen Systems. Dies ist aber gewiss nicht unmöglich.
Über ein solches geschütztes Kommunikationssystem sollte dann nicht nur der autorisierte
Zugriff auf die vollständige Patientenakte erfolgen können, sondern auch, und das kommt
gerade Patienten in ländlichen Regionen zugute, ein Arztgespräch via Webcam. Dies spart
insbesondere auf dem Land Ressourcen, sodass Hausbesuche durch selbst anzulegende
Devices wie Pulsoxymeter, Blutdruckmessgeräte, Live-Stethoskope usw. zunehmend
obsolet werden können. Immer noch werden diese Fahrten nicht nur unrentabel
abgerechnet, sondern stellen auch noch riesige Zeitfresser im Arbeitsalltag des Arztes dar.
Auch im städtischen Umfeld können so einfache Kontrolltermine und Marginalien
übernommen und das Wartezimmer zugunsten der dringlicheren Fälle geleert werden.
Wie ein solches Krankenhaus also konkret aussehen sollte? Ein Smart Hospital verkürzt
entscheidende Informationsvermittlungswege durch konsequente Vernetzung. Angefangen
mit der Notaufnahme, in der das Team schon aus dem Rettungswagen heraus „gebrieft“ wird
und die Patientenakte aufrufen kann, erstreckt sich diese interdisziplinäre Kommunikation
über alle Funktionseinheiten, die ein Patient durchläuft, und wird ständig mit neuen Befunden
aktualisiert. Auch das Pflege-Team wird hier inkludiert und spart vor allem bei der
Dokumentation viel Arbeitszeit. Komplettiert wird diese Vernetzung durch den mutigen
Einbezug von innovativen Behandlungswerkzeugen, beispielsweise OP-Robotern wie dem
DaVinci-Roboter. Computersysteme, die auf Krankheitsfrüherkennung spezialisiert sind,
berechnen auf Basis der Krankheitsgeschichte Risiko-Scores und erleichtern Ärzten so die
frühzeitige Prognose.
All dies ist momentan noch Zukunftsmusik – die Mittel dazu stehen aber längst bereit! Es
braucht auch vonseiten der Regierung nun mehr Mut, dies in einen Masterplan einzupflegen
und dann strukturpolitisch unverzüglich tätig zu werden!

Lennard Kroll (21) ist im Kreisvorstand der JuLis Bochum. Er studiert Medizin im 6. Semester
in Essen und promoviert im Bereich Unfallchirurgie. Dabei famulierte er u.a. bereits bei
einem Landarzt und arbeitet in einer der Bochumer Unikliniken.